Der Atlantis-Komplex
schreckliche Sorgen gemacht. Schließlich sind große Brüder auch nicht ewig unkaputtbar. »Du verrückter Bär«, sagte sie liebevoll. »Und nur zu deiner Information: Mir geht’s gut. Ich habe dich und alle anderen gerettet.«
Butler befreite sich sanft von zwei Luchadores in kreischbunten Trikots und Ledermasken. »Auf die Schulter klopfen kannst du dir später, Schwesterchen.« Er kletterte aus dem Gewirr von Armen und Beinen und richtete sich auf dem Rest der Bühne zu seiner vollen Größe auf. »Siehst du das alles?«
Juliet kletterte an ihrem Bruder hoch, stellte sich auf seine Schultern und balancierte dann, nur um anzugeben, mit einem Fuß auf seinem Kopf.
Nun, da sie einen Moment Zeit hatte, sich das Ausmaß der Ereignisse zu vergegenwärtigen, verschlug es ihr den Atem. Sie waren umgeben von einem stöhnenden, wogenden Meer aus Verwirrung. Blut tropfte, Knochen lagen bloß, und Tränen flossen. Das reinste Katastrophengebiet. Die Menschen tasteten Trost suchend nach ihren Handys, und aus den Sprinkleranlagen rieselte ein feiner Sprühnebel, der Juliets Gesicht benetzte.
»Und das alles, um uns zu töten«, sagte sie fassungslos.
Butler streckte seine riesigen Hände aus, und Juliet trat darauf, wie sie es so oft im Fowl’schen Dojo getan hatte.
»Nicht nur um uns zu töten«, widersprach er. »Dazu hätten zwei Ladungen aus einer Neutrino gereicht. Das hier war dazu gedacht, jemanden zu unterhalten.«
Juliet sprang mit einem Salto auf die Bühne. »Aber wen?«
Hinter ihnen brach ein weiteres Stück der Bühne zusammen, was erneutes Geschrei und Gestöhne auslöste.
»Ich weiß es nicht«, sagte Butler grimmig. »Aber wer auch immer versucht hat, uns zu töten, wollte, dass Artemis unbewacht ist. Ich ziehe mich jetzt erst mal um, und dann finden wir heraus, wen Artemis diesmal gegen sich aufgebracht hat.«
Kapitel 5
Auf zu neuen Ufern
Deeps, Hochsicherheitsgefängnis von Atlantis,
Gegenwart
T urnball Root holte sich seine Unterhaltung, wo immer er sie kriegen konnte. Schließlich waren Spaß und vergnügliche Ablenkungen in einem Hochsicherheitsgefängnis nicht gerade an der Tagesordnung. Die Aufseher waren ruppig und unkooperativ, die Betten hart und kaum zum Hüpfen geeignet, und die farbliche Gestaltung war schlichtweg gruselig. Olivgrün, wohin man auch sah. Zum Davonlaufen − wenn das denn so einfach gewesen wäre. In einer solchen Umgebung musste man jede noch so kleine Aufmunterung genießen, die sich einem bot.
Nach der Verhaftung durch seinen Bruder, Commander Julius Root, und diese naive, übereifrige Holly Short hatte Turnball monatelang vor Wut gekocht. Er war in seiner Zelle auf und ab gelaufen und hatte seinen Hass an den Wänden ausgelassen. Mal schimpfte er nur vor sich hin, mal zerschlug er in einem Wutanfall alles in Stücke. Irgendwann begriff er jedoch, dass er mit diesen Ausbrüchen nur einem schadete, nämlich sich selbst. Besonders deutlich wurde ihm das, als er ein Magengeschwür bekam. Da er durch Missbrauch und Nachlässigkeit schon lange nicht mehr über eigene Magie verfügte, hatte er einen Zaubererarzt kommen lassen müssen, um seine angeschlagenen Organe zu heilen. Der junge Spund, der nicht viel älter gewesen sein konnte als Turnballs Gefängnisanzug, hatte ihn mit unverschämter Herablassung behandelt. Opa hatte er ihn genannt! Wussten diese Grünschnäbel denn nicht, wer er war? Was er vollbracht hatte?
Ich bin Turnball Root , hätte er gern gewettert, wäre er von der Heilung nicht so entkräftet gewesen. Captain Turnball Root, Erzfeind der ZUP . Ich habe die Erste Unterirdische Wichtelbank bis auf den letzten Goldbarren ausgeraubt. Ich war derjenige, der das Crunchball-Finale anlässlich der Hundertjahrfeier manipuliert hat. Wie können Sie es wagen, mich ›Opa‹ zu nennen!
»Diese jungen Leute heutzutage, Leonor«, brummte Turnball, an seine geliebte, abwesende Frau gewandt. »Haben keinen Respekt mehr.«
Dann schüttelte er sich, als ihm bewusst wurde, was er gerade gesagt hatte.
»Gute Götter, Liebste, ich klinge wirklich wie ein alter Mann.«
Und Ausdrücke wie gute Götter machten es auch nicht gerade besser.
Doch dann hatte Turnball genug gehabt von dem Selbstmitleid und beschlossen, das Beste aus der Situation zu machen.
Eines Tages wird die Gelegenheit kommen, und ich werde wieder mit dir vereint sein, Leonor. Und warum sollte ich es mir bis dahin nicht so bequem wie möglich machen?
Es war nicht allzu schwer gewesen. Nach mehreren
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