Der Atlantis-Komplex
Monaten im Gefängnis hatte Turnball Kontakt zu dem Gefängnisdirektor aufgenommen, Tarpon Vinyáya, einem leicht beeinflussbaren Frischling von der Universität, der noch nie Blut unter seinen manikürten Fingernägeln gehabt hatte, und im Austausch gegen ein paar harmlose Hafterleichterungen hatte er ihm nützliche Informationen angeboten, die Vinyáya an seine Schwester bei der ZUP weiterleiten konnte.
Es machte Turnball nicht das Geringste aus, seine Kontakte in der Unterwelt preiszugeben, und im Gegenzug erhielt er die Erlaubnis anzuziehen, was er wollte. Er wählte seine alte ZUP -Ausgehuniform mit Rüschenjabot und Dreispitz, allerdings ohne die Abzeichen.
Dann verriet er zwei Visafälscher, die von Kuba aus agierten, und erhielt einen Computer sowie Zugang zum internen Netzwerk des Gefängnisses. Die Adresse eines entflohenen Zwergs, der als Einbrecher in Los Angeles Karriere machte, verschaffte ihm einen gefütterten Quilt für sein bretthartes Bett. Was das Bett selbst betraf, ließ sich der Gefängnisdirektor jedoch nicht erweichen. Doch Turnball wusste, dass dafür eines Tages Vinyáyas Schwester würde bezahlen müssen.
Turnball hatte schon viele glückliche Stunden damit zugebracht, sich auszumalen, wie er sich an dem Direktor wegen dieser Kränkung rächen würde. Wie er ihn töten würde. Doch ihn kümmerte das Schicksal von Tarpon Vinyáya nicht wirklich. Viel wichtiger war ihm, die Freiheit zurückzugewinnen und seiner Frau wieder tief in die Augen blicken zu können. Und um dieses Ziel zu erreichen, würde Turnball noch eine ganze Weile den gutmütigen, tattrigen Gefangenen spielen müssen. Nun, er führte den Direktor jetzt seit sechs Jahren an der Nase herum, was machten da ein paar Tage mehr oder weniger?
Dann werde ich mich wieder in mein wahres Ich verwandeln , dachte er und ballte die Hände zu Fäusten. Und diesmal wird mein kleiner Bruder mir keinen Strich durch die Rechnung machen, es sei denn, dieser junge Taugenichts von Artemis Fowl hat inzwischen eine Möglichkeit gefunden, die Toten wieder ins Leben zurückzuholen .
Turnballs Zellentür löste sich mit dem typischen Knistern auf, und im Türrahmen erschien Mister Vishby, seit vier Jahren Turnballs Aufseher und sein unwissender Handlanger. Turnball mochte Vishby nicht; genau genommen, verabscheute er alle atlantischen Elfen mit ihren fischartigen Köpfen, sabbernden Kiemen und dicken Zungen, aber Vishby trug die Saat der Unzufriedenheit in seinem Herzen, und so war er, ohne es zu merken, Turnballs Sklave geworden. Turnball seinerseits war bereit, jeden zu ertragen, der ihm half, früh genug aus dem Gefängnis zu entkommen.
Bevor ich dich verliere, meine Liebste.
»Ah, Mister Vishby«, sagte er strahlend und erhob sich von seinem – für drei Heringe schmuggelnde Feenmänner erkauften – Schreibtischsessel. »Sie sehen gut aus. Die Kiemenfäule ist wirklich besser geworden.«
Unwillkürlich tastete Vishby nach den drei Streifen hinter seinem winzigen linken Ohr.
»Meinen Sie wirklich, Turnball?«, gurgelte er mühsam. »Leeta sagt, sie kann meinen Anblick nicht ertragen.«
Das kann ich sehr gut nachvollziehen , dachte Turnball, und dann: Früher hätte ich Sie für diese Anrede auspeitschen lassen. Für Sie bin ich immer noch Captain Root .
Doch statt diese wenig schmeichelhaften Gedanken auszusprechen, griff er fast ohne ein angewidertes Zucken um die Mundwinkel Vishbys glitschigen Arm. »Leeta weiß gar nicht, was für ein Glück sie hat«, säuselte er. »Sie, mein Freund, sind ein echter Fang.«
Vishby sah ihn erschrocken an. »Ein F-fang?«
Turnball schnalzte schuldbewusst. »Ach ja, natürlich, entschuldigen Sie, Vishby. Atlantische Wasserelfen mögen es nicht besonders, als Fang betrachtet zu werden − oder gar gefangen zu werden. Was ich sagen wollte, ist, dass Sie ein ausgesprochen gutaussehender Elf sind, und jede Frau, die ihre sieben Sinne beieinanderhat, sollte sich glücklich schätzen, Sie zum Gefährten zu haben.«
»Danke, Turnball«, murmelte Vishby besänftigt. »Und, wie läuft’s so? Was macht Ihr Plan ?«
Turnball drückte den Arm des Elfen, um ihn daran zu erinnern, dass überall Augen und Ohren lauerten. »Oh, natürlich meinen Sie den Plan, ein Modell des schwimmenden Unterwasser-Krankenhauses zu bauen, unserer großartigen Nostremius ? Der macht große Fortschritte. Direktor Tarpon Vinyáya ist sehr kooperativ. Wir verhandeln gerade über Klebstoff.« Er führte Vishby zum
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