Der Aufgang Des Abendlandes
beißt. Denn da das
Lebensbewußtsein ein Teil des Alls, so hat es das gleiche dauerhafte Dasein wie das All. Deshalb schafft das Leben,
wenn Milliarden Einzelspiegel verdunkeln, wieder neue Milliarden Spiegel. Denn Gesetz und Ursprung der Spiegelung ist das
unsterbliche Licht, das sich einfach andere Formen der Lichtbrechung (siehe als Gleichnis den Wasserspiegel) schüfe,
wenn die bewußte Spiegelform nicht da wäre. Sie würde sich statt des animalischen Ichs einem andern,
vielleicht der Pflanzenpsyche verwandten Lichtreflex öffnen. Ding und Spiegelung sind also untrennbar eins, beide nur
Teilerscheinungen der ewigen Notwendigkeit, in welcher sich das Ganze verbirgt. Genau so wie das Ding (All) ist, muß
auch sein Spiegelteil (alles bewußte Leben) sein. Dies erhebt Sinn und Wert des Lebens ins Unzerstörbare, verleiht
ihm eine unverkennbar ewige Aufgabe und unsterbliche Bestimmung. »Wir schauen hier im Spiegel in einem dunkeln Wort,
einst aber von Angesicht zu Angesicht.«
Beide, das Bewußtsein des organischen Lebens und das All, dienen sich gegenseitig als Spiegel, um sich anzuschauen,
»Gott« stellt sich als »Welt« dar, um seiner selbst bewußt zu werden. Diese unheimliche
Wahrheit einer absoluten Allverknüpfung durch ständige Wechselbeziehung innerhalb der Allseele begründeten
transzendentalen Monismus. Reflex des Alls, die Verschiedenheit der Iche im Schauen, ist nur verschiedene Lichtbrechung der
Beziehungen, relativ und karmisch bestimmt, je näher oder je ferner wir dem Zentrallicht rücken.
Fort mit dem mechanistischen Spuk vom Untergang des Abendlands, als ob geist- und herzlose Zahlenperioden den Faden der
Geschichte an der Spule abschnurren ließen und nicht unerschöpfliche Kräfte eines lebendigen Gottes den
Teppich der Wiedergeburt webten! Sprach man von Untergang des Morgenlands, weil in Volneys »Ruinen« die Kanonen
Bonapartes und Clives hineinbrüllten? Über den Sonnentempeln von Palmyra und Heliopolis, über den Grotten von
Ellore und Chinas Pagoden strahlt die alte Sonne und weckt den schläfrigen, doch nie entschlafenen Riesen Asien zu neuem
Anfang. Wenn die Sonne der Urweisheit im Osten aufgeht und das erkaltete Gemüt des Westens wärmt, kann jederzeit
ein Anfang des Abendlandes neu beginnen.
Pflanzenwelten? Als ob Fortpflanzungs- nicht auch Verpflanzungsfähigkeit zuließe! Kultur ist Assimilierung,
ihre Todesstunde schlägt nie. Den Zynismus von W. James: »Wahr ist, was befriedigt«, darf man umbiegen: Nur
was wahr ist, befriedigt – am wenigsten das Schreckgespenst des Untergangs. Nichts, was einmal war, sinkt in die Tiefe,
astrales Abbild leuchtet für immer, Trümmer sind nur Bausteine, und wo Kärrner sie zusammenscharrten,
können Könige bauen. Mancher möchte Untergang für Zwangsleid des Sichtbaren eintauschen, doch es ist ja
nur Modalität des Unsichtbaren, das niemals untergeht.
Ins Sondersein getreten, kreuzigt und entsühnt sich die Weltpsyche in jeder Kreatur; je schwerer der Fels von ihrem
Scheintodgrabe rollt, desto freier die erlöste Himmelfahrt. Für ihr Ringen und Leiden müssen Tatverstrickung
und Schaffen oft wohlgefälliger und ehrwürdiger sein als Yogigymnastik, Abseitgehen, Sichaufgeben. »Brahma
selbst ist das Opfer, Opferfeuer und dessen Nahrung, er opfert sich selbst« (Baggawed), »Verlange das Feuer, wirf
Körper, Geist, Seele ins Feuer, so wirst du's lebend oder tot besitzen« (Rosenkreuzerspruch), solchem Feuersturm
gilt das Dichterwort vom Immer-strebend-sich-Bemühen. So nur naht »der Geist der Wahrheit«, den »die
Welt nicht kann empfangen«.
Auch geistige Bewegung dreht sich in endlosen Kurven, jenseits Materie und Geist rollt der transzendentale Monismus in
ewiger Rotation um die Achse der Ruhe-in-Gott. Wer sich zum letzten Rand der Wahrheit gekommen wähnt, vor dem
reißen neue leuchtende Abgründe sich auf, Geheimnisse, die sich nicht in Worte fassen lassen. Jeder im
»Trance« scheinsichtbar werdende »Spirit« ist genau so subjektiv-objektiv lebendig wie das
»Wirkliche«, beides ist Schein und beides ist Wahrheit. Vergangenheit und Zukunft sind immer gegenwärtig,
unheimlich groß erhebt die Ewigkeit als immergleiche Gegenwart das Zeitliche ins Unzeitliche hervor. Will das
Geschlecht des Weltkriegs, zur Salzsäule erstarrt, auf das brennende Sodom rückwärtsstarren? Wasser der
Sintflut verlaufen, doch nur die Arche religiöser Wiedergeburt kann Faustens unsterblich Teil auf dem Gipfel des
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