Der Auftrag
liegen sollte, wie man ihm im Tempel versichert hatte. Doch plötzlich fühlte er sich schläfrig und beschloss, noch eine Weile zu ruhen. Vorsichtig lehnte er sich gegen den Baumstamm und schloss die Augen.
Es tat ihm gut, hier zu sitzen, in dieser vollkommenen Stille, denn das Rauschen des Windes in den Baumkronen und den Gesang der Vögel nahm er nicht bewusst wahr. Der Geruch von Kiefernharz, feuchter Erde und welkem Laub stieg ihm in die Nase. Gewöhnliche Gerüche, und doch erinnerten sie ihn schwach an eine Zeit, als er ein anderer gewesen war. Er sah einen Knaben, der Wasser aus dem nahen Bach in einen Holzbottich schöpfte, während der Großvater vor der Haustür saß und seine Pfeifen schnitzte. Er wusste so viele Geschichten zu erzählen, die Jaryn zum Lachen gebracht hatten. Aber Jaryn wusste auch, dass er diese Bilder nicht heraufbeschwören durfte. Sein Großvater war tot, und aus dem Knaben war ein Mann geworden. Wie oft hatte man ihm als Novize eingebläut: ›Vergiss dein altes Leben, sonst wirst du nur leiden.‹
Er horchte in sich hinein. Durfte er die Erinnerung an jenes derbe Leben dulden? Galten im Wald andere Gesetze? Er beschloss, den weisen Anamarna zu befragen. Darüber war er sanft eingeschlummert. Als er erwachte, erschrak er, denn um ihn war es stockfinster. Es war nicht einmal daran zu denken, den Hauptweg wiederzufinden. Er verfluchte sich wegen seiner Schwäche, die ihn zwang, an diesem Flecken zu übernachten, und lauschte in die Nacht. Unheimliche Geräusche drangen an sein Ohr, ein Wispern und Knacken, ein Fiepen und Rauschen, als hätten sich sämtliche Waldgeister hier verabredet. Bei Savaron, dem Geflügelten, um so niedrige Geschöpfe sollten sich die Zaradulen kümmern. Nicht einmal ein Feuer konnte er anzünden bei dieser Dunkelheit. Blind tastete er in seinem Bündel herum, bis er die Sonnenscheibe fand. Er rollte sich auf seiner dünnen Decke zusammen, hielt die Scheibe fest umklammert und schloss die Umgebung aus seinen Gedanken aus, indem er sich auf das Licht konzentrierte, das symbolisch in ihr eingefangen war. Er wartete, ob der Gott sich ihm offenbarte, aber er zeigte sich heute nicht. Dennoch war Jaryn nach kurzer Zeit eingeschlafen.
Die ersten Sonnenstrahlen weckten ihn. Verwirrt schaute er sich um und bemerkte, dass er unter einem Baum auf einer zerwühlten Decke lag. Von seiner seidenen Robe musste er braune Fichtennadeln pflücken, und an seinem linken Ärmel wies ein Fleck auf die Hinterlassenschaft eines Vogels hin. Erschrocken wollte er ihn mit etwas Gras wegreiben, was die Sache noch verschlimmerte, und das zweite Gewand in seiner Tasche war für den Rückweg bestimmt. Er nahm ein schnelles Frühstück zu sich und setzte seinen Weg fort. Zu seinem Verdruss gelangte er bereits nach kurzer Zeit in das Dorf Caschu. So nah war er einer angemessenen Unterkunft gewesen und hatte unter einer Fichte übernachtet!
Sorgsam den beschmutzten Ärmel verbergend, durchquerte er die ärmliche Ansiedlung mit raschen Schritten und ohne sich umzublicken. Die Leute, die ihm begegneten, starrten ihn mit offenen Mündern an, bevor sie sich beeilten, auf die Knie zu sinken. So eine Ehre war ihnen noch nie widerfahren. Jaryn tat, als seien sie nicht vorhanden. Er war froh, als er das Dorf hinter sich gelassen hatte. Nun begann der Anstieg in das Waldgebiet, das man die Rabenhügel nannte. Die Wege waren nicht allzu steil, aber die Gegend war unheimlich. Düster war es unter den mächtigen, uralten Bäumen, deren Blätterkronen nur wenig Licht durchließen. Mannshohe Gesteinsbrocken und schroffe, jäh aus dem Boden ragende Felswände vermittelten den Eindruck einer versteinerten Siedlung. Sie boten unzählige Verstecke für Gesetzlose, die hier hausen sollten.
Jaryn ging unbeirrbar geradeaus. Er fürchtete sich nicht vor Wegelagerern, nur vor Ameisen, Spinnen und Kotflecken. Mal musste er in einer schmalen Schlucht über gefallene Baumriesen klettern, mal balancierte er über runde Kiesel in einem ausgetrockneten Flussbett. Einmal blieb er mit dem Gewandsaum an einem herausragenden Ast hängen, wodurch der Stoff einen Riss bekam. Jaryn dämmerte die Erkenntnis, dass ein seidener, knöchellanger Rock für diese Umgebung nicht das geeignete Kleidungsstück war. Doch wie konnte ein Sonnenpriester darauf verzichten? Undenkbar! Der Rock war ihm wie eine zweite Haut.
Jaryn kämpfte sich redlich durch die Wildnis, verbrachte die Nacht unterhalb einer Felswand und erreichte am
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