Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter
betrunken, was er wolle und wer er sei, worauf er die Kamera sinken ließ, man nenne ihn Polyphem, wie er sonst 49
heiße, habe er längst vergessen, sei auch nicht wichtig, daß er sich nicht gemeldet habe, als der Geheimdienst für sie ein Kamerateam gesucht hätte, sei von der politischen Lage des Landes aus verständlich, für sie, die F., zu arbeiten, sei zu riskant, was die Polizei wisse, wisse der Geheimdienst und was der Geheimdienst wisse, wisse die Armee, etwas dicht zu halten, sei unmöglich, er sei ihr lieber heimlich gefolgt, er wisse ja, was sie suche, der Chef des Geheimdienstes habe es allen Kameramännern erzählt und es wimmle in diesem Land von Kameramännern, sie, die F., wolle den Mörder der Dänin finden und womöglich überführen, wozu sie auch deren roten Pelzmantel angezogen habe, er finde das phantastisch, er werde ihr später die Filme zeigen, die er von ihr, der F., gedreht habe, nicht nur seit sie im ›Grand-Hôtel Maréchal Lyautey‹ abgestie-gen sei, wie sich der verlotterte Steinhaufen nenne, nein, schon vorher, als sie den roten Pelzmantel in der Altstadt beim Blinden gefunden und gekauft habe, auch diese Szene sei von ihm gefilmt worden und sicher auch von anderen, an ihrem Unternehmen sei nicht nur er interessiert, auch jetzt würde sie von überall her mit Teleobjektiven beobachtet, die selbst durch den Nebel drängen, wie ein Katarakt stürzten diese Erklärungen aus dem Munde des großen schlaksigen Mannes heraus, aus dieser Höhle mit schlechten Zähnen von weißen Stoppeln umgeben, aus einem hageren durchfurchten Gesicht mit kleinen brennenden Augen, aus einem Antlitz eines hinkenden Mannes in einem schmutzigen, verschmierten Leinenkleid, der mit gespreizten Beinen über der Leiche stehend, die F. immer wieder mit einer Videokamera filmte, und als sie fragte, was er nun eigentlich wolle, antwortete er, einen Tausch, und als sie fragte, was er darunter verstehe, erklärte er, er hätte ihre Filmporträts stets bewundert, es sei sein größter Wunsch, ein Porträt von ihr herzustellen, auch die Dänin, die Sörensen, hätte er gefilmt und weil sie am Schicksal dieser Journalistin 50
interessiert sei, biete er für das Porträt, das er von ihr, der F., herzustellen gedenke, die Filme an, die er von der Dänin gemacht habe, er sei imstande, die Videokassetten in konventionelle Filme zu verwandeln, die Sörensen sei einem Geheimnis auf der Spur gewesen, für sie, die F., biete sich die Gelegenheit die Spur wiederaufzunehmen, er sei bereit mit ihr ein Gebiet der Wüste aufzusuchen, in welches die Sörensen ver-schlagen worden sei, von allen, von denen sie beobachtet werde, habe sich dorthin bis jetzt keiner vorgewagt, aber sie könne ihm vertrauen, er gelte in gewissen Kreisen als der wohl unerschrockenste Kameramann, wenn auch die Kreise, in denen er bekannt sei, nicht genannt und seine Filme nicht gezeigt werden könnten, aus wirtschaftlichen und politischen Gründen, die er angesichts der Leiche des jungen Dänen nicht erläutern möchte, aus Pietät, auch der sei diesen Gründen zum Opfer gefallen.
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Er hinkte ohne eine Antwort abzuwarten zum Bus zurück, wobei sich ihr Eindruck, er sei betrunken, verstärkte, und als er hinter dem Bus verschwunden war, wußte sie, daß sie im Begriffe war, nochmals einen Fehler zu begehen, doch wenn sie das Schicksal der Dänin aufklären wollte, mußte sie sich dem Manne anvertrauen, der sich Polyphem nannte, auch wenn ihm nicht zu trauen war, den man offenbar ebenso beobachtete wie man sie beobachtete, ja vielleicht wurde sie nur beobachtet, weil man ihn beobachtete, sie kam sich vor wie eine Schachfigur, die hin- und hergeschoben wurde, eigentlich widerwillig stieg sie über den Toten und gelangte um die Busruine herum zu einem Geländefahrzeug, verstaute ihren 51
Koffer auf der Pritsche und nahm neben ihm Platz, der nun deutlich nach Whisky stank und ihr riet, sich anzuschnallen, nicht grundlos, denn die Fahrt, die nun begann, war höllenmä-
ßig, Staubwolken aufwirbelnd sausten sie dem Bergrücken entlang tief in die kochende Wolkenwand hinab, oft so nah am Straßenrand, daß Steine in die Abgründe unter ihnen prassel-ten, später ging es in Haarnadelkurven noch steiler hinunter, wobei der Betrunkene die Kurven manchmal übersah und mit dem massigen Fahrzeug geradewegs hinunterstob, während die F., durch den Gurt an die Rücklehne ihres Sitzes gepreßt, die Beine nach vorne gestemmt, den Bergrücken, den sie hinabfeg-ten,
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