Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter
unglücklicherweise habe sie, die F., trotz seiner Warnung geplaudert, dieses schäbige Hotel sei der letzte noch irgendwie zu kontrollierende Punkt, von da an sei Niemandsland, völkerrechtlich noch nicht abgegrenzt, aber er sei gerne bereit, sie zurückzuführen, worauf die F.
sagte, nachdem sie ihn um eine Zigarette gebeten und er ihr Feuer gegeben hatte, sie gehe trotzdem.
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Als sie im roten Pelzmantel das Haus verließ, wies nichts mehr darauf hin, daß der Chef des Geheimdienstes sie besucht hatte und auch von der Alten fehlte jede Spur, das Haus schien leer 47
gewesen zu sein, die Haustüre unter dem Schild GRANDHÔTEL
MARÉCHAL LYAUTEY schlug auf und zu und sie kam sich vor wie in einem alten unwirklichen Film, indem sie mit umgehängter Tasche, den Koffer in der Hand, in der menschenleeren Einöde den Weg wählte, den der junge Däne genommen haben mußte, ohne Wissen wohin die Straße führte, auf der sie nun sinnlos, stur, gegen jede Vernunft dem Berg zu wanderte, an dessen Flanken immer noch die Wolke hing, und an ihr Gespräch mit dem Logiker D. dachte, wie sie sich damals ein Bild von einer Tina von Lambert gemacht hatte, aus dem einzigen Grunde etwas zu unternehmen, nicht untätig zu sein, in Aktion zu treten, doch nun, wie sich dieses Bild als Phantasiegebilde herausgestellt hatte, wie hinter ihm eine banale Ehegeschichte zum Vorschein gekommen und sich das Schicksal einer ganz anderen Frau enthüllte, von der sie keine Ahnung gehabt hatte, aber deren roten Pelzmantel sie trug, der wiederum der gleiche war, den Tina getragen hatte, fühlte sie sich in diese andere, in diese dänische Journalistin Jytte Sörensen verwandelt, vielleicht vor allem durch das Zitat Kierkegaards, auch sie fühlte sich hilflos wie eine in den leeren Raum fallende Spinne, dieser Weg, den sie nun ging, staubig, steinig, der unbarmherzigen Sonne ausgesetzt, die längst durch die Wolkenwand gebrochen war, die unter ihr kochte, der sich Hängen entlang krümmte und sich zwischen seltsam geformten Felsen hindurch zwängte, war eine Konsequenz ihres ganzen Lebens, sie hatte immer spontan gehandelt, es war das erste Mal gewesen, daß sie gezögert hatte, als sie von Otto von Lambert aufgefordert worden war, ihn mit ihrem Team zu besuchen und dennoch war sie zu ihm gegangen und hatte seinen Auftrag angenommen, und nun schritt sie gegen ihren Willen diesen Weg entlang und konnte doch nicht anders, den Koffer in der Hand wie eine Autostopperin auf einer Straße, auf der keine Autos fuhren, bis sie plötzlich vor dem nackten Leichnam Björn 48
Olsens stand, so unvermittelt, daß ihr Fuß an ihn stieß, er lag vor ihr, immer noch lachend, wie es schien, wie das erste Mal als sie ihn unten an der Treppe gesehen hatte, von weißem Staub bedeckt, so vollständig, daß er mehr einer Statue glich als einer Leiche, die Cordhose, die Joggingschuhe, die wattierte Jacke lagen im Material, das er mitgenommen hatte, in den runden Blechdosen, die meisten geborsten, aufgesprengt, aus denen die Filmbänder wie schwarze Gedärme quollen, und hinter diesem Wirrwarr der VW-Bus, von innen heraus zerrissen, ein groteskes Durcheinander von Blech und Stahl, ein verbogener und zerrissener Schrotthaufen von Maschinentei-len, Rädern, Glaskristallen, ein Anblick, der sie erstarren ließ, die Leiche, die Filmrollen, die herumgestreuten und geborste-nen Koffer, die Kleidungsstücke, die Unterhose, die wie eine Fahne an einer geknickten Antenne flatterte – erst allmählich nahm sie Details wahr –, die Busruine, deren Lenkradüberreste noch von einer vom Arm abgetrennten Hand des Dänen umklammert waren, all das sah sie, vor der Leiche stehend, und doch schien ihr unwirklich, was sie sah, irgend etwas störte sie, machte die Wirklichkeit unwirklich, ein Geräusch, das sie auf einmal wahrnahm, das jedoch schon gewesen war, als sie auf den Toten gestoßen war, und als sie nach der Richtung schaute, aus der das Geräusch, dieses leise Surren kam, sah sie einen großen, hageren, schlaksigen Mann in einem weißen, schmutzigen Leinenanzug, der sie filmte, ihr zuwinkte und sie weiter filmte, dann zu ihr hinkte mit seiner Kamera, mit einem müh-samen Schritt über den Toten herüber, neben ihr diesen filmend, wie von ihr aus gesehen und dabei sagte, sie solle doch endlich ihren blöden Koffer abstellen, zur Seite hinkte, die Kamera wieder auf sie schwenkte, ihr nachhinkte, als sie zurückwich und ihn anherrschte, weil sie den Eindruck hatte, der Mann sei
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