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Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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ein bloßer Beobachter von Zeigern und Uhren, und besonders im Angriff, den sie diese Nacht zu unternehmen hätten, ihr Flugzeug sei ein fliegender Computer, er starte, fliege ins Ziel, werfe die Bomben ab, alles automatisch, sie beide hätten nur Beobachterfunktion, er wünsche sich manchmal, ein echter Verbrecher zu sein, etwas Unmenschliches zu 70

    tun, ein Tier zu sein, eine Frau zu vergewaltigen und zu erwürgen, der Mensch sei eine Illusion, entweder werde er eine seelenlose Maschine, eine Kamera, ein Computer oder ein Tier, nach dieser Rede, der längsten, die Achilles je gehalten, sei dieser verstummt und sie seien Stunden später im Tiefflug mit doppelter Schallgeschwindigkeit Hanoi entgegengefegt, einem Feuerschlund der Flugabwehrgeschütze entgegen, die CIA hätte Hanoi gewarnt, zum Test gehörte auch die Abwehr, trotzdem habe er einige von seinen besten Aufnahmen gemacht, dann sei nach Abwurf der Bomben ihr Flugzeug getroffen worden, die Automatik sei ausgefallen, blutüberströmt, am Kopf verletzt, habe Achilles die schwerbeschädigte Maschine mit ihm zurückgeflogen, nicht mehr wie ein Mensch, sondern nun selber wie ein Computer, denn als sie auf der Kittyhawk gelandet seien und die Maschine zum Stillstand gekommen sei, habe ihn das blutige und leere Gesicht eines Idioten angeglotzt, er habe Achilles nie vergessen können, er stehe solange er lebe in dessen Schuld, er habe die ›Ilias‹ gelesen, um diesen Hillbilly-Professor zu verstehen, der ihm das Leben gerettet habe und seinetwegen ein Idiot geworden sei, er habe nach Achilles geforscht aber ihn erst nach Jahren aufgestöbert, in der psychiatrischen Abteilung des Militärspitals, wo man ihm, Polyphem, das Bein zusammenflickte, er habe einen idiotischen Gott vorgefunden, den man in eine Zelle gesperrt habe, weil er, einige Male aus der Anstalt entwichen, Frauen vergewaltigt und umgebracht habe, worauf er wieder vor sich hinschaute und auf ihre Frage, ob das Wesen hinter der Tür Achilles sei, antwortete er, sie müsse verstehen, daß er diesem den einzigen Wunsch, den es noch fühle, erfüllen müsse, wenn sich eine Gelegenheit biete, und im übrigen habe er ihr das Porträt der Jytte Sörensen versprochen.

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    Er hatte Mühe, den Projektor in Gang zu setzen, vorher hatte er lange nach der Filmrolle suchen müssen, endlich war es soweit, zurückgelehnt in einen Kinosessel, die Beine übereinanderge-schlagen, sah sie zum erstenmal Jytte Sörensen, eine schlanke Frau im roten Pelzmantel, die in die große Sandwüste hineinging, wobei sie zuerst glaubte, sie sei es selber, die da gehe, an ihrem Gang bemerkte sie, daß die Frau getrieben wurde, wenn sie stehenblieb, schreckte etwas sie auf, das Gesicht der Frau sah sie nie, aber am Schatten, der von Zeit zu Zeit sichtbar wurde, ahnte sie, daß sie von Polyphems Geländewagen in die Wüste gezwungen wurde, Jytte Sörensen ging und ging, Steinwüste, Sandwüste, doch war es kein planloses Gehen, auch wenn sie getrieben wurde, hatte die F. das Gefühl, daß die Dänin auf ein Ziel zuging, das sie erreichen wollte, doch plötzlich lief sie einen steilen Hang hinunter, überschlug sich, die Al-Hakim-Ruine wurde sichtbar mit den schwarzen Vögeln der kauernden Heiligen, sie erhob sich, lief zu ihnen, umklammerte die Knie des ersten, wollte um Hilfe bitten, dieser fiel hin, wie er bei der F. hingefallen war, die Dänin kroch über den Leichnam, umklammerte die Knie des zweiten, auch dieser war eine Leiche, der Schatten des Fahrzeugs tauchte auf, pech-schwarz, dann ein hünenhaftes Wesen, das sich auf sie warf, die, plötzlich willenlos, alles mit sich geschehen ließ, vergewaltigt und getötet wurde, alles überdeutlich, in Nahaufnahme ihr Gesicht, zum ersten Mal, dann jenes des Wesens, stöhnend, gierig, fleischig, leer, was dann folgte mußte mit einer Spezial-kamera und in der Nacht aufgenommen worden sein, die Leiche lag zwischen den Heiligen, die zwei Toten wieder sitzend, Schakale kamen, schnupperten, begannen Jytte Sörensen zu zerfleischen, und erst jetzt bemerkte sie, daß sie sich allein im Vorführraum befand, sie erhob sich, verließ den 72

    Vorführraum, blieb stehen, entnahm der Tasche eine Zigarette, zündete sie an, rauchte, am Tisch saß Polyphem, schnitt an einem Filmband herum, neben ihm ein Gestell mit Filmresten, auf dem Tisch ein Revolver neben aus den Filmen geschnitte-nen Einzelbildern, am Tischende eine kahlköpfige Masse, Verse skandierend, griechische Hexameter, Homer,

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