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Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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werde, der andere könnte den Kopf verlieren und handeln, der Computer sich irren, die Ideologie sich als falsch und Gott sich als desinteressiert erweisen, andererseits würden gerade jene Mächte, die nur konventionelle Waffen besäßen und sich doch eigentlich ducken müßten, dazu verführt, im Schatten des Weltfriedens der Abschreckung 63

    konventionelle Kriege zu führen, diese seien angesichts der Möglichkeit eines atomaren Krieges stubenrein geworden, was wiederum die Herstellung konventioneller Waffen ankurble und den Krieg in der Wüste rechtfertige, ein genialer Kreislauf, die Waffenindustrie und damit die Weltwirtschaft auf Touren zu halten, die Station, worin sie sich befänden, diene dazu, diesen Prozeß zu beschleunigen, sie sei durch ein Geheimab-kommen ermöglicht und mit phantastischen Kosten errichtet worden, allein für die unterirdische Stromzufuhr seien im Gebirge ein Staudamm und ein Elektrizitätswerk gebaut worden, nicht zufällig habe man diesen Teil der Wüste als Zielfeld gewählt und zahle man jedes Jahr eine halbe Milliarde dafür, er sei nicht weit von jenen Ländern gelegen, die durch ihren Ölreichtum immer wieder der Versuchung nachgäben, die Industrienationen zu erpressen, die Beobachtungsstation sei mit über fünfzig Spezialisten belegt gewesen, alles Techniker, er als einziger Kameramann unter ihnen, der Hauptsache nach noch immer mit der alten Kodak aus dem Laden seines Vaters ausgerüstet, nur in der letzten Zeit hantiere er mit Video, er habe nie die Beobachtungsstation aufgesucht, sei ein noch so dicker Brocken angekündigt worden, ihm seien sensationelle Aufnahmen gelungen, zugegeben, ein Splitter habe sein linkes Bein zertrümmert, aber als er zurückgekommen sei, endlich wieder zusammengeflickt, habe er die Beobachtungsstation halb verlassen gefunden, man habe sie vollautomatisiert, die Techniker, die noch geblieben seien, hätten mit Computern gearbeitet, eigentlich habe man ihn nicht mehr gebraucht, er sei durch automatische Videokameras ersetzt worden, dann habe man einen Satelliten über die Beobachtungsstation lanciert, sie seien nicht einmal informiert worden, die Beobachtungsstation für den Satelliten befinde sich auf den Kanarischen Inseln, nur durch Zufall habe ein Fernsehspezialist den Satelliten über ihnen entdeckt, später den zweiten, dieser von den andern, 64

    wenig später sei der Befehl gekommen, die Station zu räumen, sie sei nun in der Lage vollautomatisch zu arbeiten, was eine Lüge sei, wozu wäre dann der Satellit da, er allein, Polyphem, sei geblieben, er verstehe nichts von all diesen Installationen, er sei gerade noch fähig nachzuprüfen, ob die Videoanlagen noch funktionierten, sie funktionierten noch, aber wie lange, der Strom für die Beobachtungsstation stamme nur noch von den Batterien, der Strom vom Elektrizitätswerk sei seit heute morgen eingestellt, seien die Batterien erschöpft, sei die Beobachtungsstation nutzlos und nun habe man auch begonnen die Interkontinentalraketen zwar nicht gerade mit atomaren, aber doch mit hochbrisanten konventionellen Bomben zu bestücken, wenn er auch den Gedanken, man ziele von beiden Seiten nicht so sehr auf die Station, sondern mehr auf ihn, weil er im Besitz verschiedener Filme und Fotonegative sei, die für gewisse Diplomaten mehr als peinlich seien, nun doch für übertrieben halte, aber seitdem trinke er, er habe vorher nie getrunken, worauf die F. fragte, ob diese Dokumente, die er besitze, der Grund seien, warum er Björn Olsen umgebracht habe.

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    Er nahm die Füße vom Tisch, stand auf, holte zwischen den Filmrollen eine Flasche Whisky hervor, goß sich Whisky ins Glas, woraus er die Pulvermilch getrunken hatte, schwenkte es, trank es aus, fragte, ob sie an Gott glaube, schenkte sich neuen Whisky ein und setzte sich wieder ihr gegenüber, die von seiner Frage verwirrt wurde, die sie zuerst unwirsch beantwor-ten wollte, aber dann im Gespür, daß sie von ihm mehr erfahre, wenn sie ernsthaft auf seine Frage einging, antwortete, sie könne nicht an einen Gott glauben, weil sie einerseits nicht 65

    wisse, was sie sich unter einem Gott vorzustellen habe, und daher nicht an etwas zu glauben vermöge, unter dem sie sich nichts vorstellen könne, andererseits keine Ahnung habe, was er, der sie nach ihrem Glauben frage, unter Gott verstehe, an den sie glauben solle oder nicht, worauf er entgegnete, wenn es einen Gott gebe, sei dieser als reiner Geist reines Beobachten, ohne Möglichkeit in den

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