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Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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zweimal in Todesgefahr gewesen, als sie ins Freie gegangen sei durch die Raketen und vorher vor der Eisentüre, hätte sie die geöffnet, wäre sie nicht mehr am Leben, denn der Name Polyphem sei ihm auf dem Flugzeugträger Kittyhawk gegeben worden, zu einem Zeitpunkt als der Rückzug aus Südvietnam schon beschlossen worden sei, in der Kajüte, die er mit einem rothaarigen Hünen geteilt habe, mit einem seltsamen Kauz, Professor für Griechisch an irgendeiner Hillbilly-Universität, der in seiner dienstfreien Zeit Homer gelesen habe, die ›Ilias‹, deren Verse laut rezitierend, dabei ein ausgekochter Bomberpilot, den man Achilles genannt habe, teils um den Sonderling zu veräppeln, teils aus einem Heidenrespekt vor dessen Tollkühnheit, ein Einzelgänger, den er immer wieder fotografiert und gefilmt habe, das Beste, was ihm je gelungen 68

    sei, denn Achilles habe nie darauf geachtet, habe auch nie mehr als gleichgültige Worte mit ihm gewechselt, bis er, wenige Stunden bevor sie mit einem Bomber eines neuen Typs einen nächtlichen Angriff auf Hanoi durchführen mußten, ein Auftrag, von dem sie beide geahnt hätten, er könne schiefgehen, von seinem Homer aufschauend ihn betrachtet hatte, als er gerade die Kamera auf ihn gerichtet hatte, du bist Polyphem, habe er gesagt, du bist Polyphem, und gelacht, das einzige Mal, daß er gelacht habe und dann nie mehr und darauf habe er zu reden begonnen, auch zum ersten Mal, und gesagt, die Grie-chen hätten Ares, den Gott des Kampfgetümmels, von Pallas Athene, der Göttin der Schlachtordnung, unterschieden, im Nahkampf sei jede Überlegung gefährlich, nur blitzschnelles Reagieren sei möglich, einem Speerstoß ausweichen, ein Abfangen eines Schwerthiebes mit dem Schild, ein Zustoßen, ein Zuschlagen, der Feind sei zugegen, Leib an Leib, dessen Wut, dessen Schnauben, dessen Schweiß, dessen Blut vermi-sche sich mit der eigenen Wut, dem eigenen Schnauben, dem eigenen Schweiß, dem eigenen Blut zu einem wilden Knäuel von Angst und Haß, der Mensch verkralle sich im Menschen, verzahne sich in ihn, zerfleische, zerhacke, ersteche ihn, zum Tier geworden, zerreiße er Tiere, so habe vor Troja Achilles gekämpft, es sei ein haßerfülltes Morden gewesen, dazu habe er gebrüllt vor Wut und gejubelt nach dem Tod jedes Feindes, aber er, den man auch Achilles nenne, welche Schmach, je technischer der Krieg geworden sei desto abstrakter der Feind, für den Scharfschützen mit Zielfernrohr nur noch als ein in die Ferne entrücktes Objekt erkennbar, für die Geschütze nur noch vermutbar, und als Bomberpilot könne er zur Not noch ange-ben, wie viele Städte und Dörfer er bombardiert, aber nicht wie viele Menschen er getötet habe, auch nicht wie er sie getötet, zerfleischt, zerquetscht, verbrannt habe, er wisse nicht, er beobachte bloß seine Instrumente und folge den Angaben 69

    seines Funkers, um das Flugzeug dorthin zu bringen, an jenen abstrakten Punkt im stereometrischen Koordinatensystem von Längen-, Breitengrad und Höhe, abhängig von der eigenen Geschwindigkeit und der Windrichtung, dann das automatische Auslösen der Bomben und nach dem Angriff fühle er sich nicht als Held, sondern als Feigling, der finstere Verdacht tauche in ihm auf, ein SS-Schinderknecht in Auschwitz habe moralischer gehandelt als er, dieser sei mit seinen Opfern konfrontiert gewesen, auch wenn er sie als Untermenschen und Lumpenge-sindel betrachtet habe, zwischen ihm, Achilles, und seinen Opfern jedoch gebe es keine Konfrontation, die Opfer seien nicht einmal mehr Untermenschen, sondern irgend etwas Ungefähres als würde er Insekten vertilgen, wie der Flieger, der Gift versprühe, ja auch nicht die Mücken sehe, Ausbom-ben, Vernichten, Ausradieren, Ausschalten, gleichgültig welche Vokabel man brauche, sei abstrakt, rein technisch, nur noch summarisch zu erfassen, finanziell am besten, ein toter Vietnamese koste über hunderttausend Dollar, die Moral werde exstirpiert wie ein böser Tumor, der Haß injiziert wie ein Aufputschmittel gegen einen Feind, der ein Phantom sei, sehe er einen realen gefangenen Feind, könne er ihn nicht hassen, gewiß, er kämpfe gegen ein System, das seiner politischen Auffassung widerspreche, aber jedes System, auch das verbre-cherischste, sei aus Schuldigen und Unschuldigen geflochten und in jedes System, auch in die Kriegsmaschinerie, der er zugeordnet sei, mische sich das Verbrechen ein, überwuchere und ersticke die Begründung, er komme sich wie eine Unperson vor,

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