Der aufziehende Sturm
Tear identifizierte. »Eine Amyrlin muss nicht wissen, was jene von ihr halten, die ihr folgen, so lange man ihr gehorcht.«
»Man hat Euch gefangen genommen und gestürzt.«
Egwene hob eine Braue und erwiderte Meidanis Blick. »Gefangen genommen, das ist richtig.«
»Der Saal der Rebellen wird mittlerweile eine neue Amyrlin gewählt haben.«
»Ich weiß zufällig, dass das nicht der Fall ist«, sagte Egwene.
Dann zögerte sie. Den Kontakt mit den Rebellen zu enthüllen war gewagt, aber wenn sie sich nicht die Loyalität von Meidani und den Spionen sichern konnte, dann befand sie sich auf sehr wackligem Boden. Sie war von der Annahme ausgegangen, dass es nicht schwerfallen würde, die Unterstützung dieser Frau zu gewinnen, nicht, wenn man bedachte, welche Angst Meidani bei diesem Essen gezeigt hatte. Aber anscheinend war sie doch nicht so leicht einzuschüchtern, wie es den Anschein gehabt hatte.
»Nun«, sagte Meidani. »Selbst wenn das die Wahrheit sein sollte, müsst Ihr wissen, dass sie Euch nur als Galionsfigur ausgesucht haben. Eine Marionette, die man lenken kann.«
Egwene erwiderte den Blick der Frau.
»Ihr verfügt über keine richtige Autorität«, sagte Meidani mit leicht schwankender Stimme.
Egwene senkte den Blick nicht. Meidani studierte sie; ganz langsam runzelte sie die Stirn, erschienen Falten auf dem glatten alterslosen Aes Sedai-Gesicht. Sie suchte in Egwenes Augen, wie ein Steinmetz einen Stein nach Fehlern untersuchte, bevor er ihn an Ort und Stelle beförderte. Was sie dort fand, schien sie nur noch mehr zu verwirren.
»Ihr werdet mir jetzt ganz genau erklären, warum Ihr nicht aus der Burg geflohen seid«, sagte Egwene, als hätte man sie gerade nicht infrage gestellt. »Zwar bin ich der Meinung, dass es durchaus nützlich ist, wenn Ihr Elaida ausspioniert, aber Ihr müsst doch wissen, in welcher Gefahr Ihr nun schwebt, da sie weiß, wo Eure wahre Loyalität liegt. Warum geht Ihr nicht?«
»Das ... kann ich nicht sagen«, antwortete Meidani und schaute zur Seite.
»Ich befehle es Euch als Eure Amyrlin.«
»Ich kann es trotzdem nicht sagen.« Meidani schaute zu Boden, als würde sie sich schämen.
Seltsam, dachte Egwene und verbarg ihren Unmut. »Es ist offensichtlich, dass Ihr den Ernst Eurer Situation nicht begreift. Entweder Ihr akzeptiert meine Autorität, oder Ihr akzeptiert Elaidas. Da gibt es keine Position in der Mitte, Meidani. Und eines kann ich Euch versprechen: sollte Elaida den Sitz der Amyrlin behalten, werdet Ihr nicht erfreulich finden, wie sie mit denjenigen umgehen wird, die sie als Verräter betrachtet.«
Meidani starrte noch immer zu Boden. Trotz ihres anfänglichen Widerstands hatte es den Anschein, als verfügte sie nun über keine große Willenskraft mehr.
»Ich verstehe.« Egwene erhob sich. »Ihr habt uns verraten, nicht wahr? Seid Ihr zu Elaidas Seite übergelaufen, bevor man Euch entlarvt hat, oder erst nach Beonins Geständnis?«
Meidani sah sofort auf. »Was? Nein! Ich habe unsere Sache nicht verraten!« Ihr schien schlecht zu sein, sie war ganz blass, und ihr Mund war nur ein schmaler Strich. »Wie könnt Ihr nur glauben, dass ich diese schreckliche Frau unterstützen würde? Ich hasse, was sie der Burg angetan hat.«
Nun, das war eindeutig genug; diese Behauptungen ließen nur wenig Raum, um sich an den Drei Eiden herumzumogeln. Entweder sagte Meidani die Wahrheit, oder sie gehörte zu den Schwarzen. Allerdings konnte sich Egwene nur schwer vorstellen, dass sich eine Schwarze Schwester durch eine Lüge in Gefahr bringen würde, die sich mit relativ wenig Mühe aufdecken ließ.
»Warum also nicht fliehen?«, fragte sie. »Warum bleiben?«
Meidani schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht sagen.«
Egwene holte tief Luft. Etwas an der ganzen Unterhaltung irritierte sie. »Verratet Ihr mir denn wenigstens, warum Ihr so oft mit Elaida speist? Doch bestimmt nicht, weil Ihr diese Behandlung genießt.«
Meidani errötete. »Während unserer Novizinnenzeit waren Elaida und ich Kopfkissenfreundinnen. Die anderen waren der Ansicht, ich käme vielleicht an wertvolle Information, wenn ich diese Beziehung auffrische.«
Egwene verschränkte die Arme unter der Brust. »Die Annahme, dass sie Euch vertraut, erscheint doch sehr weit hergeholt. Aber ihr Machthunger verleitet sie dazu, leichtsinnige Entscheidungen zu treffen, also war der Plan vielleicht nicht völlig verrückt. Aber jetzt, da sie Eure wahre Loyalität kennt, wird sie Euch niemals ins Vertrauen
Weitere Kostenlose Bücher