Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der aufziehende Sturm

Der aufziehende Sturm

Titel: Der aufziehende Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
Vom Netzwerk:
Kontrolle
    »Ihr solltet vorsichtiger sein«, sagte Sarene. »Wir haben großen Einfluss auf den Amyrlin-Sitz. Vielleicht könnten wir sie dazu überreden, Eure Strafe nicht so schlimm ausfallen zu lassen. Falls Ihr mitarbeitet.«
    Semirhages verächtliches Schnauben war noch auf dem Korridor zu hören, wo Cadsuane vor dem Verhörzimmer auf einem bequemen Holzstuhl saß und an einer Tasse lauwarmen Süßblatttee nippte. Der Korridor bestand aus schlichtem Holz und war mit langen weißen und weinroten Teppichen ausgelegt; in prismenähnlichen Lampen an den Wänden flackerte helles Licht.
    Sie hatte Gesellschaft - Daigian, Erian und Elza, die dafür zuständig waren, Semirhages Abschirmung aufrechtzuerhalten. Mit Ausnahme von Cadsuane wechselten sich alle Aes Sedai im Lager damit ab. Es war einfach zu gefährlich, diese Pflicht allein den Aes Sedai mit geringerem Status aufzuzwingen, denn man befürchtete, sie könnten ermüden. Die Abschirmung musste stark bleiben. Allein das Licht wusste, was passieren würde, sollte sich Semirhage befreien können.
    Cadsuane trank ihren Tee, den Rücken zur Wand gerichtet. Al'Thor hatte darauf bestanden, dass auch »seine« Aes Sedai die Gelegenheit erhielten, Semirhage zu verhören, und nicht nur ihre Leute. Sie war sich nicht sicher, ob das ein Versuch sein sollte, seine Autorität zu beweisen, oder ob er wirklich glaubte, diese Frauen könnten da Erfolg haben, wo sie - bis jetzt - versagt hatte.
    Was nun auch zutraf, darum stellte Sarene heute die Fragen. Die Weiße aus Tarabon war eine bedächtige Person und hatte nicht die geringste Ahnung, dass sie eine der schönsten Frauen war, die in den letzten Jahren die Stola errungen hatten. Ihre Unbekümmertheit kam nicht unerwartet, schließlich gehörte sie zu den Weißen Ajahs, die genauso weltfremd wie die Braunen sein konnten. Sarene wusste auch nicht, dass Cadsuane draußen lauschte, und zwar mit einem kleinen Gewebe aus Geist. Ein einfacher Trick, den Novizinnen oft lernten. Kombiniert mit diesem neuen Trick, die Gewebe umzudrehen, bedeutete das, dass sie lauschen konnte, ohne dass jemand drinnen auch nur etwas von ihrer Anwesenheit ahnte.
    Die Aes Sedai auf dem Korridor sahen natürlich, was sie da tat, aber keiner sagte etwas. Obwohl zwei von ihnen - Elza und Erian - zu der Gruppe von Närrinnen gehörten, die dem jungen al'Thor die Treue geschworen hatten, verhielten sie sich in ihrer Gegenwart vorsichtig; sie wussten, was sie von ihnen hielt. Dumme Frauen. Manchmal hatte es den Anschein, als wäre die Hälfte ihrer Verbündeten entschlossen, ihr die Arbeit absichtlich zu erschweren.
    Sarene fuhr mit ihrem Verhör fort. Mittlerweile hatten die meisten der Aes Sedai im Herrenhaus es versucht. Braune, Grüne, Weiße und Gelbe - alle hatten versagt. Sie selbst hatte der Verlorenen noch keine Fragen gestellt. Die anderen Aes Sedai betrachteten Cadsuane als eine beinahe mythische Gestalt, eine Reputation, die sie gefördert hatte. Manchmal hatte sie sich Jahrzehnte von der Weißen Burg ferngehalten und dafür gesorgt, dass viele sie für tot hielten. Wenn sie dann wieder auftauchte, sorgte das für Aufsehen. Sie hatte falsche Drachen gejagt, weil es nötig war und weil jeder Mann, den sie gefangen nahm, ihrem Ruf bei den anderen Aes Sedai nutzte.
    Ihre ganze Arbeit war auf diese letzten Tage der Welt ausgerichtet. Und das Licht sollte sie blenden, wenn sie sich das jetzt von dem jungen al'Thor ruinieren ließ!
    Sie überspielte ihr Stirnrunzeln, indem sie einen Schluck Tee nahm. Langsam verlor sie die Kontrolle, einen Faden nach dem anderen. Einst hätte etwas so Dramatisches wie das Gezänk in der Weißen Burg ihre sofortige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Aber sie konnte nicht anfangen, an diesem Problem zu arbeiten. Die Schöpfung selbst war in Auflösung begriffen, und ihre einzige Möglichkeit, dagegen etwas zu unternehmen, bestand darin, ihre ganze Mühe auf al'Thor zu konzentrieren.
    Und er widersetzte sich jedem ihrer Versuche, ihm zu helfen. Schritt für Schritt verwandelte er sich in einen Mann, dessen Inneres aus Stein war, unbeweglich und völlig unflexibel. Eine gefühllose Statue konnte nicht gegen den Dunklen König antreten.
    Verdammter Junge! Und jetzt war da Semirhage, die ihr ebenfalls weiterhin trotzte. Es juckte ihr in den Fingern, jetzt da reinzugehen und die Frau anzugehen, aber schon Merise hatte die Fragen gestellt, die sie auch gestellt hätte, und war gescheitert. Wie lange würde ihre Reputation intakt

Weitere Kostenlose Bücher