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Der aufziehende Sturm

Der aufziehende Sturm

Titel: Der aufziehende Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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gelernt, die wir benutzt haben, um herzukommen.«
    »Gut. Geht.«
    Der Mann nickte.
    »Jetzt!«
    Er ließ das schreckliche Pferd auf die Hinterbeine steigen und galoppierte mit wehendem Umhang aus dem Lager.
    »Was sollte das denn?«, fragte Sheriam und wandte den Blick von den Aktivitäten im Saal.
    »Ich habe dafür gesorgt, dass wir nicht von Elaidas Armee umzingelt aufwachen«, sagte Siuan. »Ich wette, ich bin die Einzige, die daran gedacht hat, unseren General davor zu warnen, dass der Feind womöglich gerade unseren größten taktischen Vorteil zunichtegemacht hat. So viel also zur Belagerung.«
    Sheriam runzelte die Stirn, als hätte sie daran noch gar nicht gedacht. Da würde sie nicht die Einzige sein. Oh, irgendwann würde jemand an Bryne denken und sich vornehmen, den General zu informieren. Aber für viele bestand die Katastrophe nicht in der Tatsache, dass Elaida sie jetzt mit ihren Armeen von der Flanke aus angreifen konnte oder dass Brynes Belagerung nun sinnlos geworden war. Für sie würde die Katastrophe viel persönlicher sein: das Wissen, das sie sich so bemüht hatten, geheim zu halten, war in andere Hände gefallen. Das Reisen gehörte ihnen, und jetzt hatte Elaida es! Das war typisch Aes Sedai. Die Entrüstung kam an erster Stelle, dann erst die Bedeutung.
    Aber vielleicht war es auch nur Verbitterung, die sie da verspürte. Dann dachte jemand im Zelt daran, die Zusammenkunft zu Versiegeln, also zog sich Siuan zurück, verließ den Bretterweg und trat auf den festgestampften Boden. Überall huschten Novizinnen umher, die Köpfe gesenkt, um ihren Blick zu meiden, obwohl sie schnell einen Knicks machten. Heute war ich wirklich nicht gut darin, schwach zu erscheinen, dachte Siuan und verzog das Gesicht.
    Die Weiße Burg zerfiel. Die Ajahs schwächten einander mit kleinlichen Machtkämpfen. Selbst hier, in Egwenes Lager, verbrachte man mehr Zeit mit Politik als mit der Vorbereitung auf den kommenden Sturm.
    Und Siuan war teilweise für diese Fehler verantwortlich.
    Natürlich trugen Elaida und ihre Ajah den Löwenfischanteil an Schuld. Aber hätte sich die Burg überhaupt entzweit, wenn Siuan die Zusammenarbeit zwischen den Ajahs gefördert hätte? Elaida hatte nicht so viel Zeit für ihr Werk gehabt. Jeder Abgrund in der Burg konnte vermutlich zu winzigen Rissen während Siuans Herrschaft als Amyrlin zurückverfolgt werden. Hätte sie diesen Frauen mehr Stärke in die Knochen hämmern können, wenn sie sich mehr für die Rolle als Vermittlerin interessiert hätte? Hätte sie sie davon abhalten können, sich aufeinanderzustürzen wie Rasierklingenfische im Blutrausch?
    Der Wiedergeborene Drache war wichtig. Aber er war nur eine Figur im Gewebe dieser letzten Tage. Das vergaßen alle nur viel zu leicht, denn es war viel einfacher, die dramatische Gestalt aus den Legenden zu beobachten und alle anderen zu vergessen.
    Sie seufzte, hob ihren Wäschekorb auf und überprüfte ihn aus reiner Gewohnheit, um sicherzugehen, dass noch alles vorhanden war. Dabei kam eine Gestalt in Weiß aus einem der abzweigenden Wege und trat auf sie zu. »Siuan Sedai?«
    Siuan schaute stirnrunzelnd auf. Die vor ihr stehende Novizin gehörte zu den seltsamsten im Lager. Mit fast siebzig Jahren hatte Sharina das faltige Gesicht einer Großmutter. Sie trug das graue Haar zu einem Knoten gebunden, und auch wenn sie keineswegs gebeugt ging, vermittelte sie dennoch eine gewisse Erfahrung. Sie hatte so viel gesehen, hatte so viel getan, hatte so viele Jahre erlebt. Und im Gegensatz zu einer Aes Sedai hatte Sharina in diesen vielen Jahren ein ganz normales Leben gelebt. Hatte gearbeitet, eine Familie gegründet, sogar Kinder begraben.
    Sie war stark in der Macht. Sogar bemerkenswert stark; mit Sicherheit würde sie die Stola erringen, und sobald sie das getan hatte, würde sie hoch über Siuan stehen. Aber jetzt machte sie einen tiefen Knicks, gab ein fast perfektes Beispiel an Ehrerbietung. Von allen Novizinnen was sie dafür bekannt, sich am seltensten zu beklagen, den geringsten Ärger zu machen und am gewissenhaftesten zu lernen. Als Novizin begriff sie Dinge, die die meisten Aes Sedai niemals gelernt hatten - oder in dem Augenblick vergaßen, in dem sie die Stola erhielten. Wie man demütig war, wenn es darauf ankam, wie man eine Strafe annahm und wann man wusste, dass man etwas lernen musste, statt so zu tun, als wüsste man bereits alles. Hätten wir doch nur ein Dutzend mehr wie sie, dachte Siuan, und ein paar Dutzend

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