Ciao Mayer
Die Leiche sah nicht schön aus. Er hätte nicht näher kommen
sollen. Der Kopf ein blutiger Ball, die Arme zerfetzt, das Hemd, oder was das einmal war, und die Haut zu schmierigen Fetzen zusammengeklebt, die Reste zerrissener Sportschuhe an verstümmelten Füßen..
Nein, er hätte nicht so nahe herantreten sollen. Er starrte gebannt auf das schreckliche Bild, wie ein knappes Dutzend weiterer Zuschauer neben ihm, bis Polizisten sie alle verjagten und das Terrain rund um die Leiche mit rot-weiß-gestreiftem Klebeband absperrten.
Er schlich zurück zu seinem Jogging-Parcours. An Laufen war nicht mehr zu denken. Er hatte ohnehin keine Lust gehabt, wäre lieber im Bett geblieben. Hätte er doch seiner Schwäche nachgegeben! Aber nein, er musste sich ja beweisen, dass er willensstark war, dass er auch nach langer Nacht, nach viel Wein und noch mehr Zigaretten morgens um sieben losrennen konnte.
Das war das Deutsche in ihm, dieses blöde Erbgut seines Vaters! Nichts als Ärger hatte er damit. Deutsches Erbgut mitten in Rom, mitten in einem Römer! Das war wie Rheinwein in Frascati! Das konnte einfach nicht gut gehen. Tat es ja auch nicht.
Jetzt war ihm übel - vom Anblick der Leiche, von seinem blöden Pflichtbewusstsein, von seinem deutschen Erbgut!
Massimo schleppte sich zur Via Pinciana, am Rande des Parks, setzte sich schwerfällig auf seine Vespa und fuhr heim.
Er duschte, zog sich an, verließ sein 35-Quadratmeter-Apartment und klopfte ein Stockwerk tiefer. „Mayer“ stand an der Tür.
„Mama“, sagte Massimo, als die Tür aufging, „mir ist entsetzlich schlecht - und ich habe Hunger!“
*
Der Nachmittag machte ihn auch nicht fröhlicher. Er klapperte diverse Büros der Stadtverwaltung ab, aber es war einfach niemand da, der ihm hätte sagen können, wie das angekündigte neue Konzept zur Müllabfuhr aussah. Der eine war krank, der andere „in einer Sitzung“, der nebenan „gerade mal weg“; eigentlich war außer zwei Sekretärinnen, die in Illustrierte vertieft waren, und einem Mann im blauen Kittel, der kaputte Lampen auswechselte, überhaupt niemand auf dem Flur, wo die Zukunft der Müllabfuhr gestaltet wurde. Massimo fluchte still vor sich hin. Im Müllamt selbst, das eigentlich zuständig war, war er schon am Tag zuvor gewesen. Ohne Ergebnis: Dort fand er zwar Hunderte von Angestellten, die meisten standen vor der Tür und rauchten, aber keiner war für neue Konzepte zuständig, nur für die Durchführung der alten. Neues musste hier von diesem Flur in der Stadtverwaltung kommen, hieß es. Und nun? Massimo steckte sich, zwei Meter rechts vom „Rauchen verboten“-Schild eine Zigarette an.
Das war wieder einmal so ein Scheiß-Auftrag von seinem Chef. Nächste Woche würde es eine Pressekonferenz geben, da erführe man alles ohne große Mühe, aber nein. „Wir wollen das vorab haben, exklusiv, das ist unsere Stärke! Nun mal ran, Mayer! Mit deutscher Beharrlichkeit!“
Manchmal hasste Massimo seinen Job, seine Zeitung, seinen Chef.
„Wir setzen exklusive Marken“, wiederholte der fünfmal in der Woche, genau genommen mindestens einmal am Tag, „das ist unsere Stärke, damit fallen wir auf!“
Dabei fiel die Zeitung überhaupt nie auf. Sie hatte ihre Leser, nicht allzu viele, aber genügend. Doch wenn die Großen, wenn die „Repubblica“ oder der „Corriere“, etwas brachten, sprach die ganze Stadt davon. Wenn seine Zeitung etwas Eigenes hatte, manchmal sogar etwas Exklusives, dann sprach man erst davon, wenn die Großen es abgeschrieben hatten. Sein Blatt wurde nicht ernst genommen. Ein kleines Lokalblatt eben. Und er war ein kleiner Reporter bei diesem kleinen Lokalblatt, mit einem kleinen Gehalt, einer kleinen Wohnung - dabei blieb es. Er rief seinen Freund Gerardo an und verabredete sich zum Essen. Es war sein vorerst letzter unbeschwerter Abend.
*
Am nächsten Morgen war die Leiche aus dem Park das Top-Thema in allen Zeitungen: „Fußballstar von Kampfhunden zerfetzt“. Das Opfer, Franco Motti, 18, Stürmer beim AS Roma, war in Wahrheit zwar noch kein Star, wurde meistens nur kurz vor Spielschluss eingewechselt, aber ein „Jung-Talent mit großer Zukunft“, so der Club-Präsident, „ein lieber Junge“, so die Mutter, „einer, der nur seinen Sport im Kopf hatte“, so die Freunde.
Gut, dass der Chefredakteur nicht wusste, dass sein Reporter Massimo Mayer gestern die prominente Leiche gefunden hatte, oder wenigstens mit gefunden. Das gäbe ein Theater! Da hätte er
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