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Der aufziehende Sturm

Der aufziehende Sturm

Titel: Der aufziehende Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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anvertrauen? Oder meint Ihr die anderen? Ich bezweifle, dass Egwene begeistert wäre, wenn ich ihr eine der Verlorenen in den Schoß fallen lasse. Möglicherweise würde sie Semirhage einfach gehen lassen und mich an ihrer Stelle zum Gefangenen machen. Mich dazu zwingen, vor der Gerechtigkeit der Weißen Burg das Knie zu beugen und mich von der Einen Macht abschneiden, nur damit sie sich eine weitere Kerbe in den Gürtel machen kann.«
    Nynaeve runzelte die Stirn. »Rand! Egwene würde niemals ...«
    »Sie ist die Amyrlin«, sagte er und leerte seinen Becher mit einem Schluck. Der Wein war genauso widerlich, wie er in Erinnerung hatte. »Aes Sedai bis ins Mark. Ich bin für sie nur eine weitere Spielfigur.«
    Ja, sagte Lews Therin. Wir müssen uns von all dem fernhalten. Sie haben sich geweigert, uns zu helfen. Sich geweigert! Meinten, mein Plan sei zu gewagt. Somit blieben mir nur die Hundert Gefährten und keine Frau, um einen Zirkel zu bilden. Verräterinnen! Das ist ihre Schuld. Aber ... aber ich bin derjenige, der Ilyena getötet hat. Warum?
    Nynaeve sagte etwas, aber Rand ignorierte sie. Lews Therin, sagte er zu der Stimme. Was hast du gemacht? Die Frauen wollten nicht helfen? Warum?
    Aber Lews Therin hatte wieder angefangen zu schluchzen, und seine Stimme wurde leiser.
    »Sag es mir!«, brüllte Rand und schleuderte den Becher zu Boden. »Soll man dich doch zu Asche verbrennen, Brudermörder! Rede mit mir!«
    Schweigen kehrte in den Raum ein.
    Rand blinzelte. Noch nie zuvor hatte er versucht, in der Anwesenheit von anderen laut mit Lews Therin zu sprechen. Und sie wussten Bescheid. Semirhage hatte von der Stimme gesprochen, die er hörte, hatte ihn verächtlich abgetan, als wäre er nur ein Verrückter.
    Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Das heißt, er versuchte es ... aber er nahm den Arm, der nur noch ein Stumpf war, und erreichte nichts.
    Beim Licht! Ich verliere die Kontrolle. Die halbe Zeit weiß ich nicht, welche Stimme mir gehört und welche ihm. Das sollte doch besser werden, nachdem ich Saidin gereinigt hatte. Ich sollte sicher sein ...
    Nicht sicher, murmelte Lews Therin. Wir waren bereits verrückt. Da können wir nicht mehr zurück. Er fing an zu kichern, aber das Gelächter verwandelte sich in Schluchzen.
    Rand sah sich um. In Mins dunklen Augen lag eine solche Sorge, dass er sich abwenden musste. Alivia - die die Auseinandersetzung wegen Semirhage mit ihrem durchdringenden Blick stumm verfolgt hatte - schien viel zu sehr Bescheid zu wissen. Nynaeve gab es schließlich auf und riss an ihrem Zopf. Und dieses eine Mal schien Cadsuane ihn nicht wegen seines Ausbruchs zurechtzuweisen. Stattdessen trank sie ruhig ihren Wein. Wie konnte sie dieses Zeug nur runterbekommen?
    Der Gedanke war trivial. Lächerlich. Rand wollte lachen. Aber es wollte einfach nicht rauskommen. Er brachte nicht einmal mehr trockenen Humor zustande, nicht mehr. Beim Licht! Ich schaffe das nicht mehr. Meine Augen tun so, als wären sie in Nebel getaucht, meine Hand ist weggebrannt, und die alten Wunden in meiner Seite reißen auf, wenn ich etwas Anstrengenderes mache, als zu atmen. Ich bin ausgetrocknet, wie ein zu oft benutzter Brunnen. Ich muss meine Arbeit hier zu Ende bringen und zum Shayol Ghul gehen.
    Sonst wird von mir nichts mehr übrig sein, das der Dunkle König töten kann.
    Das war kein Gedanke, der zum Lachen reizte; er rief bloß Verzweiflung hervor. Aber Rand weinte nicht, denn Stahl konnte keine Tränen hervorbringen.
    Für den Augenblick schien Lews Therins Schluchzen für sie beide zu reichen.

KAPITEL 2
 
Das Wesen des Schmerzes
    Egwene richtete sich auf. Der mittlerweile vertraute Schmerz durch die kräftigen Prügel, die die Oberin der Novizinnen verabreichte, ließ ihr Hinterteil brennen. Sie fühlte sich wie ein Teppich, aus dem man gerade den Staub geklopft hatte. Trotzdem ordnete sie beherrscht ihre weißen Röcke, dann wandte sie sich dem Spiegel im Raum zu und tupfte sich ruhig die Tränen aus den Augenwinkeln. Dieses Mal war es nur eine Träne in jedem Auge. Sie lächelte ihr Spiegelbild an, dann nickten sie sich zufrieden zu.
    Die silbrige Oberfläche des Spiegels zeigte hinter ihr einen kleinen, mit dunklem Holz getäfelten Raum. Es war ein so nüchterner, strenger Ort; ein solider Stuhl in der Ecke, dessen Sitzfläche von jahrelangem Gebrauch gedunkelt und geglättet worden war. Ein klobiger Schreibtisch, auf dem das dicke Buch der Oberin der Novizinnen lag. Der schmale Tisch direkt hinter

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