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Der aufziehende Sturm

Der aufziehende Sturm

Titel: Der aufziehende Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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gedrängt worden waren, wo sie sich verzweifelt zur Wehr gesetzt hatten. Wo sie gegen den Stein gehämmert worden waren. Ein Stück der Stadtmauer war eingestürzt; dort hatten Damane versucht, sich in die Stadt zu retten. Ein Straßenkampf wäre für die Seanchaner ein Vorteil gewesen. Sie hatten es nicht mehr rechtzeitig geschafft.
    Ituralde ritt auf seinem Rotschimmel durch das Chaos. Eine Schlacht war immer ein Chaos. Ordentliche Schlachten gab es nur in Erzählungen oder Geschichtsbüchern. Gesäubert und gereinigt von emsigen Gelehrten, die es kurz und knapp haben wollten. »Der Angreifer hat gewonnen, es gab dreiundfünfzigtausend Gefallene« oder »Die Verteidiger hielten stand, zwanzigtausend Gefallene«.
    Was würde man einst über diese Schlacht schreiben? Das kam wohl auf die Verfasser an. Sie würden sicherlich das Blut ignorieren, das man in die Erde getreten hatte, um Schlamm zu machen. Die zerbrochenen, durchbohrten und verstümmelten Körper. Der Boden, in den zornige Damane Schneisen gerissen hatten. Vielleicht würde man sich an die Zahlen erinnern; die schienen für die Gelehrten oft so wichtig zu sein. Die Hälfte von Ituraldes Hunderttausend tot. Auf jedem anderen Schlachtfeld hätten ihn fünfzigtausend Gefallene beschämt und zornig gemacht. Aber er war gegen eine Streitmacht angetreten, die dreimal so groß gewesen war und die darüber hinaus noch über Damane verfügt hatte.
    Er folgte dem Boten, der ihn geholt hatte, ein Junge von vielleicht zwölf Jahren in der roten und grünen Uniform der Seanchaner. Sie kamen an einer im Dreck liegenden Standarte vorbei, die an einem zerbrochenen Stab hing, dessen Spitze in den Schlamm gerammt war. Sie trug das Zeichen einer von sechs Möwen durchflogenen Sonne. Ituralde hasste es, die Häuser und Namen der Gegner nicht zu kennen, aber bei den fremden Seanchanern konnte man sie unmöglich in Erfahrung bringen.
    Die Schatten der sterbenden Abendsonne bedeckten das Feld mit Streifen. Bald würde ein Tuch aus Dunkelheit die Toten einhüllen, und die Überlebenden konnten eine Weile so tun, als wäre das Grasland ein Grab für ihre Freunde. Und für die Menschen, die ihre Freunde getötet hatten. Er umrundete einen kleinen Hügel und kam zu verstreut daliegenden seanchanischen Elitekriegern. Die meisten dieser Toten trugen diese insektenhaften Helme. Verbogen, zersplittert oder verbeult. Tote Augen starrten leer aus den Öffnungen hinter verbogenen Mandibeln. Der seanchanische General lebte, wenn auch nur so gerade eben. Er hatte den Helm abgenommen, an seinen Lippen klebte Blut. Er saß an einen großen, bemoosten Stein gelehnt, gestützt von einem zusammengeknüllten Umhang, als würde er auf eine Mahlzeit warten. Natürlich ruinierten sein verdrehtes Bein und die abgebrochene Speerhälfte in seinem Bauch das Bild.
    Ituralde stieg vom Pferd. Wie die meisten seiner Männer trug auch er die Kleidung eines Feldarbeiters - schlichte braune Hosen und Mantel, ausgeliehen von dem Mann, der Ituraldes Uniform als Teil der Falle getragen hatte.
    Keine Uniform zu tragen fühlte sich seltsam an. Ein Mann wie dieser General Turan verdiente keinen Soldaten in Zivil. Ituralde verscheuchte den Botenjungen, damit er außer Hörweite ging, dann begab er sich allein zu dem Seanchaner.
    »Ihr seid das also«, sagte Turan und schaute zu Ituralde hoch, sprach mit diesem gedehnten seanchanischen Akzent. Er war ein stämmiger Mann, alles andere als groß, mit spitzer Nase. Das kurz geschnittene schwarze Haar war an jeder Kopfseite zwei Fingerbreit geschoren, und der Helm lag neben ihm am Boden. Er wies drei weiße Federn auf. Mit unsicherer schwarzbehandschuhter Hand griff er nach oben, um sich das Blut vom Mundwinkel zu wischen.
    »Ich bin es«, bestätigte Ituralde.
    »In Tarabon bezeichnet man Euch als ›Großen Hauptmann‹.«
    »Das ist richtig.«
    »Es ist verdient«, sagte Turan und hustete. »Wie habt Ihr das gemacht? Unsere Späher ...« Das Husten verschluckte seine Worte.
    »Raken«, sagte Ituralde, sobald er zu husten aufhörte. Neben seinem Feind ging er in die Hocke. Die Sonne war noch immer ein Splitter im Westen und tauchte das Schlachtfeld in rotgoldenes Licht. »Eure Späher sehen aus der Luft, und aus der Ferne lässt sich die Wahrheit leicht verbergen.«
    »Das Heer hinter uns?«
    »Größtenteils Frauen und Jugendliche«, sagte Ituralde. »Und eine große Zahl Bauern. Sie trugen die Uniformen meiner Truppen.«
    »Und wenn wir umgekehrt wären und

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