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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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fest.
    »Ich erinnere mich nur unter Schmerzen.« Die Worte strömten jetzt nur so aus ihrem Mund. »Meine erste Vision hatte ich, als ich sieben war, kurz nachdem mich ein Auto angefahren hatte. Noch heute rieche ich den schlechten Atem des Fahrers, wenn ich nur daran denke. Er stank nach Essensresten und billigem Schnaps, als er mir aufhelfen wollte. Ich versuchte, das rechte Bein zu belasten, da durchfuhr es mich wie ein Blitz. Und in dieser Aura des Schmerzes sah ich den Unfall ein zweites Mal.« »Du hast gesehen, wie er dich angefahren hat?« Sie nickte.
    »Aus der Perspektive des Fahrers, mit seinen Augen. Ich beobachtete, wie er die Flasche verschraubte, aus der er sich nur eine Ampel zuvor noch einen genehmigt hatte. Dann sah ich ein Kind auf die Straße laufen. Ich hörte ihn noch fluchen, und dann gab es einen Schnitt. Als Nächstes beugte er sich über das kleine, vor Schmerzen heulende Mädchen auf dem Asphalt. Über mich.« »Aber eben im Keller ...?«
    »... da war ich aufgeregt, ängstlich, rechnete mit dem Tod, aber es war nicht so wie damals, als der Mann mich anfuhr, oder wie kurz vor der Massage, als ich mir meine Zehen prellte.«
    »Soll das etwa bedeuten ...?«
    »Ja.« Sie nickte. »Du musst mir weh tun.«
    Ich stand so ruckartig auf, dass TomTom, der neben uns gedöst hatte, zusammenzuckte.
    »Ich weiß, es klingt unglaublich, Alex. Aber als mir in meiner Wohnung die Vase auf den Fuß gefallen ist, ist es wieder passiert. Ich konnte mich an weitere Details erinnern.« »Das meinst du doch nicht ernst.« Jetzt fing auch ich an, nach meinen Jeans zu suchen.
    »Doch!« Sie drehte mir das Ohr zu, wie immer, wenn sie jemandem die volle Aufmerksamkeit schenkte.
    »Der Schmerz sorgt nicht nur für neue Visionen. Wenn er intensiv genug ist, bringt er mir auch die alten zurück.«
    Endlich fand ich meine Hose auf dem Parkett und tastete in den Taschen nach meinem Telefon.
    »Was hast du vor?«, fragte Alina.
    »Ich rufe die Polizei an. Wir stellen uns.«
    »Was? Nein!«
    »Doch!«
    Schluss damit. Aus. Vorbei.
    »Der Wahnsinn hat hier und jetzt ein Ende.«
    Das Handy vibrierte, nachdem ich es aktiviert hatte.
    Sieben Anrufe in Abwesenheit. Eine SMS.
    Es gibt wirklich einen Strafzettel!, las ich den Vorschautext und öffnete schnell den Rest von Franks Nachricht.
    Polizei hat das Auto des Augensammlers gefunden.
    Als ich die Adresse las, wurde mir schwindelig.
    Das ergibt keinen Sinn. Wieso sollte er das tun?
    Der Augensammler hatte seinen Wagen direkt vor dem Pflegeheim meiner Mutter abgestellt.

24. Kapitel
Frank Lahmann (Volontär)
    Das haben Sie richtig gemacht.«
    Stoya legte Frank die Hand auf die Schulter und nahm ihm das Handy ab, mit dem er eben die SMS versandt hatte. Der junge Volontär zuckte unter seiner Berührung zusammen.
    »Ach ja«, sagte er. »Und wieso fühle ich mich dann wie ein beschissener Verräter?«

23. Kapitel
    (Noch 62 Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums)
Alexander Zorbach (Ich)
    Irgendetwas stimmt hier nicht.
    Ich wusste es von der Sekunde an, in der ich das Krankenzimmer betrat.
    Alina war mit TomTom im Auto geblieben, das in einer Seitenstraße hinter dem Sanatorium parkte. Es war schon für einen sehenden Menschen schwer genug, sich unbemerkt auf die Station zu schleichen. Ein Trio mit Hund und Gehstock wäre bereits am Empfang aufgehalten worden. »Hallo Mama«, flüsterte ich und griff nach ihrer Hand. Das beklemmende Gefühl, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging, wurde stärker. »Ich bin wieder da.« Etwas hat sich verändert.
    Die gesamte Fahrt über hatte ich mit dem Schlimmsten gerechnet. Ich hatte erwartet, auf eine Schwester zu treffen, die gerade das leere Bett meiner Mutter überzog. Sie hätte sich umgedreht, entnervt die Augen verdreht, weil man mir nicht schon längst Bescheid gesagt hatte und der undankbare Job jetzt wieder an ihr hängen blieb. »... müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter heute Nacht... Aber es kam ja nicht ganz unerwartet... Vielleicht sogar eine Erleichterung, in gewisser Hinsicht...« Doch dem war nicht so. Es gab kein leeres Bett, keine Schwester, und die Geräte, die meine Mutter am Sterben hinderten, waren nicht abgeschaltet. Noch nicht.
    Sie brummten, summten und zischten ihren elektronischen Lobgesang auf die Intensivmedizin. Eine morbide Symphonie, aufgeführt für ein apathisches Publikum, das schon lange nicht mehr die Geräusche seiner Umgebung wahrnahm. Alles beim Alten. Fast.
    Ich war versucht, den

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