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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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zurückbringen!«, äffte Yaja ihre Stimme nach. Sie schob ihren Kuchenteller weg, streckte sich, faltete die Hände über der Brust und studierte den Putz, der von der Decke abblätterte. »Nee, echt, wenn ich jemanden entführt hätte, würde ich mehr draus machen. Lösegeld fordern ist ja wohl das Mindeste.«
    »Aber das machen sie nur bei reichen Stinkern, sagt Mama.«
    »Genau, und deshalb sucht man sich doch wohl besser einen mit viel Moos aus und nimmt nicht einfach irgendein Baby, oder?«
    Niels musste zugeben, dass sie Recht hatte. Wer hatte was von einem Baby? Das war nicht logisch. Ein flaues Gefühl überkam ihn. Toby war noch so klein. Wenn der nun auch plötzlich verschwand?
    Marise fragte: »Was macht man denn eigentlich mit jemandem, den man gekidnappt hat?«
    »Einen kleinen Finger abhacken.« Yaja setzte sich auf. »Den man dann im Brief mit der Lösegeldforderung mitschickt. Damit sie gleich wissen, dass es ernst gemeint ist.«
    »Echt?«
    »Klar, was dachtest du denn? Dass du Rommee mit ihm spielst?«
    Es gefiel Niels ganz und gar nicht, dass die Engel Yaja sovoller Bewunderung ansahen. »Du spinnst ja, du Angeberin! Das mit dem Glas stimmte auch schon nicht!«
    »Babette hat nämlich nie geantwortet«, fiel Toby ein, der das Gespräch mit offenem Mund und Kuchenkrümeln im Gesicht verfolgte.
    »So sollte es ja auch sein, du Dumpfbacke. Nur die Toten antworten.«
    »Lügnerin!«, brach es aus Niels hervor. »Und was ist mit meiner Mutter?«
    Es trat eine Stille ein, in der die Zwillinge ihn voll Zweifel ansahen. Das war nicht fair. Er kannte sie schon sein ganzes Leben lang. Sie mussten auf seiner Seite stehen und nicht auf der von diesem Gespenst. »Hast du echt versucht, deine Mutter anzurufen?«, fragte Marleen schließlich mit ziemlicher Ehrfurcht.
    »Und sie hat nicht geantwortet!« Herausfordernd sah er Yaja an.
    Die schlug die Augen nieder und biss sich auf die Lippen. Dann schaute sie wieder auf, ein gerissenes kleines Lächeln im Gesicht. Langsam sagte sie: »Das kann dann nur eins bedeuten. Dann ist deine Mutter gar nicht tot.«
    Erschrocken hielt er Toby die Ohren zu. Der Zwerg glaubte das am Ende noch.
    Marise gab zögernd zu bedenken: »Wir sind aber auf der Beerdigung gewesen.«
    »Tot ist nicht gleich tot. Das könnt ihr mir glauben.« Brütend blickte Yaja vor sich.
    Marleen sprang auf und nahm ein weiß verkalktes Glas von der Spüle. »Wir können das doch einfach mal eben checken!«
    Niels hatte Mühe, Toby weiter die Ohren zuzuhalten. Was konnte es schon für einen Unterschied zwischen tot und tot geben? Und unabhängig davon, wie sollte er, wenn seine Mutter jetzt doch antwortete, verhindern, dass er in Tränen ausbrach,hier, vor den Gurken? Hin- und hergerissen zwischen Sehnen und Grausen, versetzte er Toby einen kräftigen Stoß mit dem Knie, damit er Ruhe gab.
    »Von mir aus können wir das ruhig checken, aber damit eins klar ist«, sagte Yaja, während sie sich mit einer Hand mit lila Nägeln Kühle zufächelte, »wir reden hier von Untoten. Das sind Tote, die nicht zur Ruhe kommen, weil sie mit den Lebenden noch ein Hühnchen zu rupfen haben. Kapiert? Denen möchte man echt nicht begegnen.« Sie erhob sich von ihrem Stuhl und begann, die Wände abzuklopfen und an den Fenstern zu rütteln. Wie zu sich selbst murmelte sie: »Ideal hier, um jemanden zu verstecken.« Sie drehte sich um. »Was ist, kidnappen wir nun noch wen oder nicht?«
    Niels wusste nicht, ob er enttäuscht oder erleichtert war. Er ließ Toby los und wischte mit seinem Jackenärmel die tränennassen Wangen seines Brüderchens ab.
    »Haben wir irgendwo Schnur?«
    »In der Kerzenmacherei«, sagte Marleen. »Kilometerweise.«
    »Das klingt doch schon mal gut.«
    »Aber wie kommen wir an einen reichen Stinker?«, fragte Marise.
    Niels merkte, dass er vor Aufregung immer hastiger atmete. Konnten sich diese Schnallen denn nie was Normales ausdenken? Eine Hütte bauen oder so tun, als wären sie Walfischfänger? Ein Unterseeboot war auch gut. Und Toby spielte unheimlich gern Tic-tac-toc. Oder Mogli, das liebte er.
    Yaja sah sich nachdenklich um. Als ihr Blick auf das staubige Telefon fiel, fing sie an zu kichern. »Mir kommt gerade eine geile Idee. Alle auf Stand-by für den Fang eines reichen Stinkers? Oder wartet, erst den Kleinen da über Bord werfen. Den können wir dabei echt nicht brauchen.«
    Niels zog seinen Bruder hoch, fest entschlossen, ihn nichtallein zu lassen. Dem konnte ja wer weiß was passieren.

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