Der Außenseiter
Anziehungskraft für unzufriedene Kinder, die Großzügigkeit mit Zuneigung verwech-selten und Grausamkeit mit Aufmerksamkeit und von denen keines begriff, wie krank diese Jungen waren. Wie sollten sie auch, wenn noch nicht ein-14
mal die Jungen selbst es wussten, die, kaum des Lesens und Schreibens mächtig, ihr Leben im Griff zu haben glaubten.
Dieser Montag im Mai verlief nicht anders als unzählige Tage davor. Das Schuleschwänzen war für die Jungen längst zur Selbstverständlichkeit geworden, und ihre Mütter versuchten gar nicht mehr, sie morgens aus dem Bett zu zerren. Es war besser, sie zu lassen, sagten sie sich, als sich Schläge dafür einzuhandeln, dass man die Herren Söhne in ihrer Ruhe störte. Die Jungen waren gar nicht in der Lage aufzustehen. Keiner von ihnen kam in der Regel – wenn überhaupt – vor den frühen Morgenstunden nach Hause, und dann im
Allgemeinen so sturzbetrunken, dass ihr Schlaf einer völligen körperlichen und geistigen Erstarrung glich. Die Mütter dieser drei waren irgendwann einmal zu dem Schluss gekommen, dass ihre Söhne in einem Heim besser aufgehoben wären, aber die Einsicht hatte nie lange vorgehalten. Angst vor Rache und falsche Liebe zu ihren Erstgeborenen hatten stets einen Sinneswandel herbeigeführt. Mit einem Mann im Haus hätte sich vielleicht manches anders entwickelt, aber den gab es in keiner der Familien, also taten die Frauen das, was ihre Söhne wünschten.
Die Jungen hatten im Ortszentrum zwei drei-zehnjährige Mädchen aufgelesen und in den Park mitgenommen. Die kleine dünne mit dem zehn-15
jährigen Bruder im Schlepptau interessierte sie nicht. Die andere, ein gut entwickeltes hübsches Ding, dafür umso mehr. Die beiden Mädchen sa-
ßen sich mit hochgezogenen Knien auf einer Bank gegenüber, so dicht, dass ihre Zehen sich berühr-ten, und die vier Jungen fläzten zu ihren Füßen im Gras und schielten zu ihren Schlüpfern hinauf. Die Mädchen, in kniehohen Stiefeln, Miniröcken und durchsichtigen Häkeltops, unter denen sie schwarze Büstenhalter trugen, waren sich ihrer Wirkung sehr wohl bewusst, und sie genossen es. Scheinbar ohne die Jungen zu beachten, unterhielten sie sich für alle gut hörbar über Sex.
Die Reaktion darauf war allerdings mäßig. Die Jungen reichten zwar eine gestohlene Flasche Wodka herum, zeigten aber überhaupt kein Interesse an den plumpen Flirtversuchen, und ohne Endspiel wird jeder Sport mit der Zeit langweilig, selbst das Scharfmachen. Die kleine Dünne verhöhnte die Jungen aus Ärger darüber, dass sie nichts von ihr wissen wollten, und nannte sie »Jungfrauen«. Und die Größere, die Cill hieß, schwang kurzerhand die Beine von der Bank, zog den Rock über ihrem Hinterteil herunter und sagte: »Das ist doch blöd.
Komm, Lou. Wir gehen zurück in die Stadt.«
Ihre unterernährte Freundin, mit schwarz ge-schminkten Augen und blassrosa Lippen, zog ihrerseits mit dem Po wackelnd ihren Rock herunter und stand auf. Beide wollten aussehen wie Cathy 16
McGowan aus ihrer Lieblingssendung Ready, Steady, Go! – Gürtel auf der Hüfte und glatt gesträhntes Haar, das in dichten Ponyfransen ins Gesicht hing. Cill mit dem kräftigen Gesicht stand das recht gut. Lou, die wie eine zweite Twiggy aussah, hätte viel lieber einen frechen Kurzhaarschnitt getragen. Doch das erlaubte Cill nicht. Zu ihrem Freundschaftspakt gehörte es, dass sie sich gleich zurechtmachten, um einander zumindest äußerlich so ähnlich zu sein, wie das bei zwei Mädchen möglich war, von denen die eine schon einen richtigen Busen hatte, während die andere ihren Büstenhalter mit Papiertaschentüchern ausfüllen musste.
»Nun komm schon!« Cill stupste den kleinen Bruder der Freundin mit der Fußspitze an. »Dein Vater dreht dir den Kragen um, wenn die Bullen dich erwischen, Billy. Du wirst schon sehen.«
»Ach, lass mich doch in Ruhe«, nuschelte der Kleine betrunken.
»Scheiße!« Der Alkohol hatte sie streitlustig gemacht, und sie musterte die faul im Gras liegenden Jungen mit verächtlichem Blick. »Mein Gott, seid ihr Schwächlinge. Lou und ich haben genauso viel getrunken wie ihr, aber blau sind wir noch lange nicht.«
»Gib doch nicht so an«, sagte einer der Jungen.
Er war nicht der größte, aber er hatte dunkles Haar und dunkle Augen, und sie fand, er sehe aus wie Paul McCartney.
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Ein anderer, ein sommersprossiger Rotschopf, hob die Hand zu Lous Oberschenkel. »Kleines Flittchen«, meinte er verächtlich und drückte
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