Der Bastard und die Lady
„Leider taugt es eher zum Hemd als zum Handtuch, aber wir haben nichts anderes.“ Sie riskierte einen Blick in sein Gesicht, denn sie hat keinen Hinweis darauf gehört, dass er sich vielleicht bereits entkleidete. „Aber Oliver, was ist aus dem Lächeln geworden, das du beim Hereinkommen gezeigt hast?“
„Ich freue mich darauf, deinen Reverend Flotley kennenzulernen, und sei es nur, um ihm zu sagen, wie gut er davongekommen ist. Vielleicht werde ich ihn bitten, für mich zu beten“, knurrte Beau.
Chelsea konnte nicht anders. Sie kicherte.
„Oh, schön. Das Weib amüsiert sich.“ Beau setzte sich auf die Bettkante, atmete tief durch und strich sich mit einer Hand durch das dichte Haar. Er hatte den ganzen Tag seinen Hut getragen, dann war der Regen hinzugekommen, und jeder Gedanke an eine gepflegte Frisur hatte sich längst verflüchtigt. Er sah zerzaust aus und jung … und ziemlich anziehend.
„Nein, nein. Eigentlich nicht“, erwiderte Chelsea ehrlich. „Ich weiß, wir werden heiraten. Auch, wenn du früher mit dem Gedanken gespielt hast, Abstand von dem mir in London gegebenen Versprechen zu nehmen, bin ich jetzt dermaßen kompromittiert, dass dir nichts anderes übrig bleibt, als mich zu heiraten oder dich selbst zu einem noch schlechteren Ruf zu verdammen, als die Gesellschaft ihn dir ohnehin schon nachsagt. Doch, Oliver, unter Berücksichtigung all dieser Umstände und nicht zu vergessen, dass, ja, dass ich diejenige war, die diesen Plan vorgeschlagen hat, muss ich dir sagen … Ach, verflixt, ich habe mich verheddert! Was wollte ich sagen?“
„Ich glaube, du wolltest mich daran erinnern, dass du eine wohlerzogene Frau bist und den Regeln, die zu übertreten du bereit bist, Grenzen gesetzt sind, auch wenn viele andere den Vollzug der Ehe vorwegnehmen. Dass du entsetzt über unsere derzeitige Situation bist, die ganz und gar nicht deinen Vorstellungen entspricht, und dass es dich ungemein trösten würde, wenn ich mich wie ein Gentleman verhielte und mich zum Schlafen in die Stallungen zurückzöge.“
Chelsea überlegte kurz und nickte dann zustimmend. Er wollte die Situation eindeutig nicht ausnutzen. Der Trottel. „Ja, das trifft wohl den Kern der Sache. Danke.“
Beau erhob sich vom Bett und fing an, seine Weste aufzuknöpfen. „Ich schlafe nicht im Stall, Chelsea.“
Sie jubelte innerlich. In ihrem Magen allerdings machte sich ein flaues Gefühl breit. Vielleicht war er doch kein Trottel. Trotzdem durfte sie nicht zu begeistert wirken. „Oh, aber …“
„Schließ die Augen, drehe dich um oder biete mir an, mir den Rücken zu waschen. Du hast die Wahl.“
Sie drehte sich um. Aber nur, um ihr Lächeln zu verbergen.
10. KAPITEL
S ie war kein Kind mehr. Er hielt sie nicht für übertrieben unschuldig, hatte jedoch im Gespür, dass sie noch Jungfrau war. Niemand wächst als Tochter eines Earls auf, ohne den Wert der Unberührtheit auf dem Heiratsmarkt zu kennen.
Doch er wusste, dass sie theoretisch wusste, worauf es ankam, oder es zumindest zu wissen glaubte. Wie sie ihm gelegentlich mitteilte, las sie Bücher. Als sie ihn einmal in einer Nebensächlichkeit in der griechischen Mythologie berichtigt hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass sie ganze Bibliotheken durchgelesen haben musste.
Sie wusste, dass sie schön war, begehrenswert. Keine Frau mit solchen Augen, solchem Haar, einem so schlanken und doch sinnlichen Körper konnte sich ihrer Schönheit nicht bewusst sein. Nicht einmal, wenn sie in einem Haus ohne Spiegel aufgewachsen wäre.
Und sie hatte mit ihm geflirtet. Gelegentlich. Möglicherweise. Es sei denn, er deutete zu viel in das hinein, was er sah, in der Hoffnung, es würde sein Gewissen beschwichtigen, wenn er sie im Geiste langsam aus ihrem verdammten Reitkleid schälte.
Sie waren seit drei Tagen und drei Nächten unterwegs. Sie trennten sich nur zum Schlafen und lernten einander kennen, wie manch einer nicht einmal jemanden kennenlernt, den er sein Leben lang gekannt hatte.
Sie hatten sich Fleischpasteten geteilt, die er in einem Gasthaus am Stadtrand von Grantham gekauft hatte, und er hielt ihr die Stirn, als ihr eine Stunde später übel wurde. Da hatte sie geschworen, nie im Leben noch einmal Fleischpastete zu essen, und wenn sie hundert Jahre alt werden sollte. Das halte sie in dem Moment allerdings für eher unwahrscheinlich, denn sie meinte, auf der Stelle sterben zu müssen.
Sie hatte kein Mitleid gewollt. Sie war wütend gewesen. Auf die
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