Der Bastard und die Lady
Mal. Aber nicht jetzt.
Jetzt berührte er sie, ja, aber ehrfürchtig. Er erregte sie bedachtsam, betete ihren Körper an, jeden Zentimeter. Er küsste ihre Lider, ihr Haar, ihre Ellbogenbeuge, ihre Kniekehle. Er strich mit den Händen über ihren Körper, ließ die Lippen folgen. Kostete jeden Moment aus, jede Berührung, jeden Herzschlag.
Leidenschaft konnte rasant, heiß, leicht geweckt, schnell befriedigt sein. Körperliche Leidenschaft.
Jetzt berührte er sie sowohl mit Händen und Mund als auch mit seiner Seele.
Er weckte nicht ihre körperliche Leidenschaft.
Er wurde eins mit Chelsea.
Er liebte Chelsea.
Und er würde nie wieder derselbe sein …
Thomas Mills-Beckman, Earl of Brean, hockte bei spärlichem Kerzenschein am Kamin (mit einem schönen Glas ziemlich guten Weins) und las aus der Heiligen Schrift in einem Gebetbuch, das sein eigener Vater ihm vor vielen Jahren geschenkt hatte.
Er hatte eine weite Reise zurückgelegt, sowohl in Bezug auf die Zeit als auch in der geistigen Entwicklung, die er seit dem Aufbruch aus London durchgemacht hatte. Er wusste seit jeher, dass er kein übermäßig kluger Mann war. Und doch war er jetzt zum ersten Mal seit langer Zeit zufrieden mit sich selbst. Er hatte nicht gewusst, dass er unzufrieden war; es war, als hätte er so lange Zahnschmerzen gehabt, dass er sie es erst bemerkte, als sie aufgehört hatten.
Er war nie besonders fromm gewesen. Nicht einmal im Ansatz gläubig. So lange nicht, bis er fast gestorben wäre und all diese übereilten Gelübde getan hatte. In den vergangenen zwei Jahren hatte er dieses schwarz gebundene Bändchen nur selten aufgeschlagen – und vorher nie –, doch jetzt trug er es häufig bei sich; wie er sich einredete, als eine Art Talisman. Der Reverend hatte es lieber gesehen, dass Thomas seine Lektüre auf Predigten aus Francis’ eigener Feder beschränkte – deren Drucklegung Thomas bezahlt hatte.
Er schüttelte verwundert den Kopf über einen bestimmten Absatz, als seine Schwester, ein Glas Wein in der Hand, den privaten Salon zwischen ihren Schlafzimmern betrat.
„Wie ich sehe, kannst du auch nicht schlafen“, sagte sie und ließ sich ziemlich unelegant ihm gegenüber in einen Sessel plumpsen. „ Liest du etwa? Grundgütiger, Mann, wann hast du denn diese langweilige Gewohnheit angenommen?“
Thomas sah seine Schwester an. Er hatte versucht, sie zu mögen, allen Ernstes. Hatte es beinahe ganze fünf Tage lang versucht. Doch es wollte nicht klappen. Er mochte sich selbst nicht sonderlich, mochte nicht, was er den Großteil seines Lebens gewesen war, was in diesen vergangenen zwei Jahren aus ihm geworden war. Er hatte sich selbst gewissermaßen in einem geistigen Spiegel gesehen und seinem Abbild eingestanden, dass er wohl nicht allzu klug war. Freundlich war er eindeutig nicht; er war häufig vorsätzlich böse und sehr aufbrausend, wenn er gereizt wurde oder zu betrunken war. Er kämpfte nicht fair – aber andererseits, welcher Mann im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte tat das schon?
Doch trotz all seiner Fehler mochte er sich selbst entschieden lieber als sie. Immerhin wusste er, wer er war. Madelyn dagegen hielt sich selbst für geistreich und sogar für liebenswert.
„Es ist überaus befremdlich, Maddie. Alles hört sich ganz anders an, wenn ich die Worte selbst lese. Francis verwendet in seinen Predigten Auszüge und Schnipsel aus der Heiligen Schrift als Belege für seine Meinungen, verstehst du? Aber wenn du die Sache als Ganzes betrachtest?“ Er schüttelte den Kopf.
„Ja? Wenn du die Sache als Ganzes betrachtest … welche Sache, Thomas?“
Er klappte das Gebetbuch zu. Das Eingeständnis seiner Leichtgläubigkeit wollte er nicht unbedingt mit Madelyn teilen. Und wenn er an das Geld dachte, dass er in Francis’ Projekte gesteckt hatte, um dann seine Verluste durch riskante eigene Projekte wieder aufzufangen? Das war sogar noch schlimmer als der Gedanke daran, dass er beinahe seine jüngere Schwester in die Klauen dieses Mannes ausgeliefert hätte. Madelyn war schon seit Jahren verloren, aber Chelsea könnte noch zu retten sein. Nein, er würde sie retten. Chelsea hatte nie viel für ihre Schwester übrig gehabt. Allein dafür hatte sie bei ihm einen Stein im Brett.
Im Grunde hätte Chelsea auf seiner Liste des durch Francis erfahrenen Leids an erster Stelle stehen müssen, doch Thomas wusste, dass er nicht perfekt war. Nach seinen Erkenntnissen aus der Lektüre dieses Abends musste er nur versuchen,
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