039 - Vor der Tür stand Frankenstein
»Hast du das gehört?«, fragte sie leise. »Da war doch etwas ...«
Jean lauschte. »Du hast dich geirrt. Da ist nichts.« Seine Hände glitten
langsam über ihre Schultern. Mit einer nervösen Bewegung strich sie die langen
blonden Haare zurück. Die dünne Bettdecke rutschte zur Seite und ließ einen
Blick auf Nicoles nackten Körper frei.
»Die Tür drüben beim Stall – ich habe sie deutlich gehört«, flüsterte sie.
»Du hast dich getäuscht«, sagte Jean noch einmal. »Du träumst und ...«
Plötzlich quietschten rostige Angeln im Stall.
Mit einem Sprung war Jean aus dem Bett und schlüpfte in seine Hose. »Ich
sehe nach.«
»Sei vorsichtig!«
Der junge Franzose zog den Riegel zurück. Im Haus war es still. Außer
Nicole lebte niemand auf diesem kleinen, abgelegenen Bauernhof, den er nach dem
Unfall seiner Eltern vor zwei Jahren übernommen hatte.
Die Nacht war mild. Eine Nacht für die Liebe. Er war weit davon entfernt,
an etwas Schreckliches zu denken.
Vielleicht war ein Fuchs oder ein Dachs in die Ställe geraten.
Mechanisch griff Jean nach einer Eisenstange, die an der Hauswand lehnte.
Schwarz breitete sich die weit auseinandergezogene Stallfront vor ihm aus. Er
ging direkt auf sie zu. Schnell erkannte er, dass keine Tür offen stand. Das
verwunderte ihn. Demnach konnte unmöglich ein Tier in die Ställe eingedrungen
sein.
Dumpfes Poltern aus dem Schweinestall ließ ihn zusammenfahren. Die Tiere
grunzten und rannten wie irr durcheinander. Eines quiekte schrill, als würde es
bei lebendigem Leib gevierteilt.
Jean Dumont riss die Tür auf. Seine Blicke durchbohrten die Finsternis. Er
sah die angstvoll zusammengepferchten Tiere in einer Ecke des geräumigen Gatters
stehen. Jean blickte sich um und ging vorsichtig in den Stall hinein. Große
dunkle Flecken waren auf dem grauen Betonboden, der sauber gekehrt war und auch
auf dem neuen hellen Brett, das erst kürzlich auf das Gatter genagelt worden
war.
Vierzehn Schweine zählte er im Pferch. Fünfzehn hätten es sein müssen! Die
Unruhe in ihm wuchs. Langsam ging er in das Dunkel und sah davon ab, eine der
Stalllaternen einzuschalten. Beinahe körperlich fühlte er, dass irgendetwas
nicht in diesen Stall gehörte. Die Unruhe und das Verhalten der Tiere war auch
ein Beweis, dass etwas nicht stimmte.
Er umklammerte die schwere Eisenstange.
Was erwartete er eigentlich? Er musste an den Wolf denken, der in den
Nachbardörfern genug Schaden anrichtete, den jedoch bis zur Stunde kein Mensch
zu Gesicht bekommen hatte.
Jean hörte ein leises, schabendes Geräusch, wirbelte herum und riss die
Eisenstange hoch. Aber da war nichts. Beim Weitergehen stieß er mit dem Fuß
gegen einen großen, blutigen Knochen, an dem noch Fetzen rohen frischen
Fleisches klebten. Er bückte sich und hob ihn auf. Der Knochen vom Spitzbein
eines Schweines! Die Reste eines schaurigen Mahles! Knochen und Fleischstücke
lagen über dem Boden zerstreut, rund um den aufgerissenen Schädel, den
zersplitterten Brustkorb und den abgerissenen Beinen.
Mit einem Mal bekam er Platzangst, wollte nur noch raus. Erschrocken wich
er zurück, als er einen Schatten neben sich aufsteigen sah. Ein scharfer,
säureartiger Gestank stieg in seine Nase. Instinktiv riss er die Eisenstange
hoch. Doch das vordere Ende wurde gepackt und mit Gewalt daran gezogen.
Obwohl er das Gleichgewicht verlor versuchte er, dem Schatten noch
auszuweichen. Doch die Gestalt, die ihn gut um zwei Köpfe überragte, war
schneller. Jean Dumont wurde gepackt. Wie Stahlklammern umschlossen die Hände
des unheimlichen Fremden, der sich im dunklen Stall verborgen gehalten hatte,
seine Armgelenke.
Jean keuchte, aber er konnte sich nicht befreien. Der scharfe Geruch
betäubte seine Sinne. Seine Augen weiteten sich, als er seinem geheimnisvollen
Gegner ins Auge blickte.
Brutal wurde er zurückgeschleudert, ein Schrei blieb ihm in der Kehle
stecken. Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen, und er hatte keine
Kraft, den Fall abzufangen.
Angst, Schmerzen und das Grauen packten ihn, als sich das unheimliche Wesen
über ihn beugte, vom Boden hochriss und abermals von sich stieß. Jean landete
drei Meter entfernt auf den Boden. Seine Sinne versagten ihm den Dienst.
●
Nicole Mercier hockte im Bett und hörte die Geräusche im Stall, doch sie
wagte nicht, das Haus zu verlassen. Eine Viertelstunde war vergangen, seit Jean
das Haus verlassen hatte. Sie waren schon an vielen Abenden hier gewesen, aber
sie hatte
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