Der Bastard und die Lady
War diese unerwartete Frau Freundin oder Feindin? War sie ihr nützlich oder nicht? Beherrschbar, oder musste sie in ihre Schranken verwiesen werden? Gehörte sie zu ihren Bewunderern oder zur Konkurrenz? Es war fast, als könnte Chelsea hören, wie sich die Rädchen im Kopf der Frau drehten.
Chelsea kam zu dem Schluss, dass sie Adelaide Claridge nicht sonderlich mochte.
Doch wie es aussah, küssten ihr Liebhaber und ihre Söhne den Boden, auf dem sie wandelte.
Der Marquess saß neben ihr, hielt mit beiden Händen ihre schlanke Hand, und seine Augen schwammen in Tränen, als sie von ihrer geliebten Abigail erzählte. Beau stand am Kamin, hing an den Lippen seiner Mutter, und Puck hockte tatsächlich wie ein gehorsames Hündchen zu ihren Füßen.
Die Königin und ihr Hofstaat. Nein, ihr Publikum.
Chelsea wand sich innerlich.
Doch immerhin wurde sie allgemein ignoriert, was ihr nur recht war, denn es gab ihr Zeit, sie alle zu betrachten, zu beobachten, im Geiste womöglich säuberlich in Schubladen einzuordnen.
Puck und Beau mit ihrem dichten blonden Haar ähnelten ihrer Mutter in erster Linie in der Haarfarbe. Die Gesichtszüge hatten sie von ihrem dunkelhaarigen Vater geerbt. Eine schöne Mutter, ein gut aussehender, betuchter Vater – kein Wunder, dass beide Söhne solch attraktive Erscheinungen waren.
Jedoch glaubte Chelsea, dass Beau, während Puck mit Sicherheit der Traum jeder jungen Debütantin war – eine Einschätzung, der er zweifellos zustimmen würde –, von beiden Elternteilen das Beste mitbekommen hatte. Und seine Persönlichkeit kam anscheinend deutlich stärker nach seiner Mutter, wenn er es auch vielleicht selbst nicht glaubte. Beau hatte einen leicht skrupellosen Einschlag.
Denn der Marquess, so nett und gastfreundlich er sich in dieser traurigen Zeit Chelsea gegenüber gezeigt hatte, besaß nun, da seine Geliebte die Bühne betreten hatte, offenbar so viel Rückgrat wie ein Schwamm.
Immer nur Ja, Liebste und Nein, meine Süße und Was immer du für das Beste hältst, Adelaide.
Als die Frau von den Erinnerungen an ihre Schwester abließ und anfing, ihr Publikum mit ihren jüngsten Triumphen auf den Bühnen von Tewkesbury und Chepstow zu unterhalten, erkannte Chelsea ganz deutlich zweierlei: Adelaides Entzücken und die Verzweiflung ihres Liebhabers. Falls der Mann je darauf spekuliert hatte, Adelaide könnte nach dem Tod ihrer Schwester das Theater aufgeben, wurden seine Hoffnungen binnen zehn Minuten nachdem die Frau den Mund aufgemacht hatte, zerstört.
Chelsea konnte es nicht mehr mitansehen.
„Verzeihung“, sagte sie, als Adelaide innehielt, um Luft zu holen oder um der größeren Wirkung willen oder warum auch immer, und erhob sich. „Sie waren alle sehr freundlich, aber ich sollte Ihnen als Familie doch wohl etwas Privatsphäre einräumen.“
Adelaide streckte die Hand aus und ließ Chelsea keine andere Wahl, als sie zu ergreifen. „Welch eine traurige Einführung in die Familie. Ich hoffe, Sie und ich, wir sprechen uns später noch. Wir haben viel zu bereden, wenn Sie in Kürze meine Tochter sein werden. Gleich nachdem ich meinen ungezogenen Sohn mit seinem guten Geschmack gefoppt habe, den er bewies, als er Sie schnappte und mit Ihnen durchbrannte. Wenngleich ich dazu sagen muss, dass er sich dadurch ungewohnt romantisch zeigt.“
„Bitte, Mutter“, sagte Beau ruhig.
Sie ließ Chelseas Hand los und wandte sich mit einem Entzückensschrei dem Marquess zu. „Gütiger Gott, Cyril, wir könnten bald schon Großeltern sein. Ich bin viel zu jung für eine Großmutter. Chelsea, meine Süße, bitte sagen Sie, dass Sie nicht schon guter Hoffnung sind.“
Chelsea spürte, dass ihre Wangen glühten, doch sie hörte nicht auf zu lächeln. Sie rang mit sich, ob sie vor der Frau knicksen sollte oder nicht – immerhin war sie selbst von höherem Rang als die Schauspielerin –, doch dann entschied sie, dass diese Frau bestimmt zu denen gehörte, die genau aufrechnen. Was bedeutete, wie Chelsea wusste, dass sie jetzt schon ins Hintertreffen geraten war.
„Mama, ich finde, das reicht jetzt“, sagte Beau und stieß sich vom Kaminsims ab. „Und ich glaube, Sie sind noch gar nicht zum Frühstücken gekommen, Chelsea. Da sollten wir, wenn möglich, Abhilfe schaffen. Wir alle sehen uns um zwei in der Kapelle.“
Sie nickte zustimmend, entschied sich dagegen, ihm zu danken, denn sie war überzeugt, dass er es genauso eilig hatte wie sie, dem Salon zu entkommen. So nahm sie nur den
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