Der Bastard von Tolosa / Roman
hast recht, mein Junge«, beruhigte ich ihn. »Ich habe nur noch nichts von diesem Segen verspürt.«
Er wollte alles über das große Heer der Provenzalen wissen und den entbehrungsreichen Weg durch Dalmatien und Makedonien bis zur Hauptstadt der Byzantiner unter Führung des schon über fünfzigjährigen, weißhaarigen Raimons. Fast sechs Monate waren wir unterwegs gewesen. Als ich die Namen der anderen Heere und ihrer Führer erwähnte, die wir in Konstantinopel trafen, da leuchtete sein Gesicht vor Verzückung.
»Und Jerusalem? Ist das Grab des Herrn so prachtvoll, wie man sagt?«
Prachtvoll? Nein, das war es nicht. Nur ein Loch tief in einem Felsen. »Es liegt unter der Kirche des Heiligen Grabes. Schlicht. Sehr schlicht. Gott braucht keinen Pomp. Ein schlichtes Grab, aber man spürt die göttliche Nähe.«
Das schien ihm zu gefallen. Seine Wangen glühten.
»Man sagt, die Dächer Jerusalems seien aus purem Gold.«
»Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt?« Ich musste mich beherrschen, um nicht wieder laut zu lachen,
per Dieu!
»Aber es ist eine schöne Stadt. Auf mehreren Hügeln. Sie leuchtet weiß aus der Ferne und glitzert in der Sonne wie ein Juwel. Die Häuser sind aus Stein. Hohe Mauern und viele Türme säumen die Stadt. Im Vergleich dazu sind unsere Städte klein und unbedeutend.«
Aimar hörte nicht auf, mich mit Fragen zu bewerfen. Kaum beantwortete ich eine, so hatte er schon die nächste auf den Lippen. Wider Willen brachte er mich zum Reden, bis ich immer mehr erzählte. Mit dem Testament würde es auch heute nichts mehr werden. Obwohl, insgeheim fand ich Gefallen daran, mit dem Jungen die Zeit zu verschwatzen, denn heutzutage kam es nicht mehr allzu häufig vor, dass ich einen dankbaren Zuhörer hatte. Außerdem begann ich, den aufgeweckten Burschen zu mögen.
Und so erzählte ich weiter von Jerusalem. Von Golgatha, vom Ölberg, vom Leidensweg Christi, von den schönen Kirchen. Vom Strom der Pilger aus allen Ländern, von den griechischen Patriarchen mit den langen Bärten, von den Juden und ihrem zerstörten Tempel, von Türken, Ägyptern und Arabern. Auch von Bethlehem berichtete ich und den frommen Mönchen, die dort die christlichen Pilger beherbergen. Und vom Fluss Jordan, in dessen Wasser ich mich ein zweites Mal hatte taufen lassen, obwohl ich darauf verzichtete, mir wie viele andere den Beinamen Jordanus anzueignen.
Inzwischen hatte Maria, die junge Magd, uns einen Korb in den Turm gebracht mit Wurst, Käse und geräuchertem Speck. Zur Krönung gab es für jeden eine dicke Scheibe des frisch gebackenen, noch warmen Brotes und gelbe Butter in einem irdenen Topf. Sie schenkte mir ein fröhliches Lächeln, als ich ihr dankte. Maria hat ein sanftes Gemüt und ist ein hübsches Kind, mit krausen, dunklen Locken und so gut gebaut wie ihre Mutter.
Nach und nach aßen wir alles auf. Das heißt, Aimar verschlang das meiste. Soll er sich hier nur ordentlich Speck auf die Rippen fressen. In der Einsiedelei würde er nicht so viel zu beißen kriegen.
Dann begannen wieder seine Fragen, und so beschrieb ich ihm das Land Outremer, die Basare und die vielen wunderbaren Dinge, die es dort zu kaufen gibt. Ich erzählte von süßen Kuchen, von Datteln, Feigen und anderen herrlichen Früchten, wie Orangen, Zitronen und riesigen Melonen. Von wildschönen Landschaften und reichen Städten. Von den verschleierten, parfümierten Frauen der wohlhabenden Muslime, die in Sänften durch die Gassen getragen werden, von Kamelkarawanen, von Seide und Gewürzen. Doch ich verschwieg auch nicht den Hass zwischen den Volksgruppen, das Gezänk unter den Priestern verschiedener Glaubensrichtungen, die Überfälle auf Pilger und die Raubzüge gegen die Karawanen der Kaufleute. Outremer ist wie eine berauschend süße Frucht. Aber eine mit gefährlich scharfen Stacheln, so dass jeder, der gierig nach ihr greift, sich nur verletzen wird, auf dass sein Blut sich mit dem der vielen anderen Eroberer mischt, die hier seit Tausenden von Jahren um Vorherrschaft gerungen haben.
Der Nachmittag war vergangen, ohne dass wir es gemerkt hatten, bis sich schließlich die Sonne dem Horizont näherte.
»Vielleicht unternimmst du ja eines Tages tatsächlich eine Wallfahrt bis ins Heilige Land«, sagte ich. »Doch nun ist es Zeit für dein Abendmahl. Morgen machen wir weiter.«
Versonnen lächelnd räumte er sein Schreibgerät zusammen, bot mir höflich eine gute Nacht und schickte sich an, die Turmstiege
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