Der Bauch von Paris - 3
von diesem Getümmel; er vergaß alles um sich bei einer Lichtwirkung, bei einer Gruppe Kittel, beim Abladen eines Wagens. Endlich rissen sie sich los. Da sie noch immer die große Straße hinuntergingen, schritten sie in einem herrlichen Duft dahin, der um sie her aufstieg und ihnen zu folgen schien. Sie befanden sich mitten im Schnittblumenmarkt. Rechts und links auf dem Pflaster saßen Frauen, vor sich viereckige Körbe voller Bunde von Rosen, Veilchen, Dahlien, Margeriten. Die Bunde wurden düster gleich Blutflecken und erbleichten sanft in ungemein zarten silbrigen grauen Tönungen. Neben einem Korb brannte eine Kerze und brachte in all das Schwarz ringsum einen gellenden Farbensang, die lebhaften weißen Flecken der Margeriten, das blutige Rot der Dahlien, das Blau der Veilchen, die lebendige Sinnlichkeit der Rosen. Und nichts war süßer und frühlingshafter als die Liebkosungen dieses Duftes, die einem auf dem Bürgersteig begegneten, wenn man aus den scharfen Ausdünstungen der Seefische und dem verpesteten Geruch von Butter und Käse kam.
Claude und Florent gingen schlendernd wieder zurück und verweilten inmitten der Blumen. Neugierig blieben sie vor Frauen stehen, die Farnkrautbündel und Päckchen von Weinblättern, schön regelmäßig je fünfundzwanzig zusammengelegt, verkauften. Dann bogen, sie in ein überdachtes Straßenstück ein, das fast menschenleer war und in dem ihre Schritte wie unter einem Kirchengewölbe hallten. Dort fanden sie ein ganz kleines Eselchen, das vor einen Wagen, so groß wie ein Handkarren, gespannt war, sich zweifellos langweilte und bei ihrem Anblick so laut und langgedehnt zu schreien begann, daß die riesigen Bedachungen der Markthallen davon erzitterten. Pferdewiehern antwortete; es gab ein Stampfen, ein Getöse in der Ferne, das anschwoll, weiterrollte und sich verlor. Inzwischen sah man ihnen gegenüber in der Rue Berger in den weit offenstehenden kahlen Buden der Makler im grellen Schein des Gaslichts zwischen den drei schmutzigen, mit Bleistiftadditionen bedeckten Wänden Haufen von Körben und Obst. Und als sie dort waren, bemerkten sie eine gutgekleidete Dame, die mit dem Ausdruck glücklicher Ermattung in der Ecke einer mitten im Gedränge des Fahrdamms verlorenen Kutsche kuschelte und sich heimlich aus dem Staube machte.
»Aschenbrödel, das ohne Pantoffeln heimkehrt«, meinte Claude mit einem Lächeln.
Als sie nun in die Markthallen zurückgingen, plauderten sie. Die Hände in den Taschen, pfiff Claude vor sich hin und erzählte von seiner großen Liebe für die Nahrungsmittelflut, die jeden Morgen mitten in Paris ansteigt. Ganze Nächte streife er auf dem Pflaster herum und träume von riesigen Stilleben und unerhörten Gemälden. Eins habe er sogar angefangen, zu dem ihm sein Freund Marjolin und diese Hure Cadine Modell gestanden hatten; aber es sei schwer, es sei zu schön, diese verteufelten Gemüse und das Obst und die Fische und das Fleisch! Florent lauschte der Begeisterung des Künstlers, während sich ihm der Bauch zusammenkrampfte. Offenbar dachte Claude in diesem Augenblick nicht einmal daran, daß diese schönen Dinge zum Essen da waren. Er liebte sie wegen ihrer Farben. Plötzlich schwieg er, zog mit einer ihm eigentümlichen Bewegung den langen roten Gürtel, den er unter seinem grünlichen Überzieher trug, enger und fuhr mit verschmitzter Miene fort:
»Außerdem frühstücke ich hier, wenigstens mit den Augen, und das ist immer noch besser, als gar nichts zu sich zu nehmen. Manchmal, wenn ich am Abend vorher zu essen vergessen habe, verderbe ich mir am nächsten Morgen den Magen, wenn ich all diese guten Dinge ankommen sehe. An solchen Morgen hege ich noch mehr Liebe für mein Gemüse … Nein, sehen Sie, es ist empörend, es ist ungerecht, daß diese verfluchten Bourgeois das alles auffressen!«
Er erzählte von einem Abendessen, das ein Freund bei Baratte für ihn an einem glanzvollen Tag bezahlt hatte; es hatte Austern gegeben, Fisch, Wild. Aber Baratte sei sehr heruntergekommen; der ganze Karneval des alten Marché des Innocents9 sei jetzt zu Grabe getragen. Man habe ihn in den Zentralmarkthallen, in diesem Eisenkoloß, in dieser neuen, so eigenartigen Stadt. Die Schwachköpfe mochten sagen, was sie wollten, das ganze Zeitalter sei da enthalten. Und Florent wußte nicht mehr, ob er die malerische Gegend oder das gute Essen bei Baratte verwünschte. Dann schimpfte Claude auf die Romantik; er zog seine Kohlhaufen dem Plunder des
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