Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
balsamischer Duft aus, daß Florent für einen Augenblick glaubte, draußen auf dem Lande zu sein, auf irgendeinem Hügel. Aber Claude zeigte ihm auf der anderen Seite der Bank den Gewürzmarkt. Längs des Kaldaunenmarktes hätte man meinen können, in Feldern von Thymian, Lavendel, Lauch und Schalotten versetzt zu sein; und um die jungen Platanen auf dem Bürgersteig hatten die Händlerinnen lange Lorbeerzweige geschlungen, die Trophäen von Grün abgaben. Der kräftige Duft des Lorbeers überwog alles.
    Das beleuchtete Zifferblatt von SaintEustache verblich, starb hin wie ein vom Morgen überraschtes Nachtlicht. Bei den Weinhändlern hinten in den benachbarten Straßen erloschen eine nach der andern die Gaslampen wie in Licht fallende Sterne. Und Florent sah zu, wie die großen Hallen aus dem Dunkel, aus dem Traum hervortraten, in dem er sie gesehen hatte, und ihre Paläste sich grenzenlos im Tageslicht dehnten. Sie nahmen feste Formen von grünlichem Grau an, wurden noch riesenhafter mit ihrem gewaltigen Mastwerk, das die unendlichen Flächen ihrer Dächer trug. Sie schichteten ihre geometrischen Körper aufeinander, und als alle innere Helligkeit erloschen war und sie viereckig und gleichförmig im aufgehenden Tageslicht badeten, erschienen sie wie eine über alles Maß hinausgehende große moderne Maschine, wie eine Dampfmaschine, ein für die Verdauung eines ganzen Volkes bestimmter Kessel, ein riesiger metallischer Bauch, verbolzt, vernietet, aus Holz, Glas und Eisen zusammengesetzt, von der Eleganz und Leistungsfähigkeit eines Antriebmotors, der dort in Tätigkeit war mit der Hitze der Heizung, dem schwindelnden Drehen, dem rasenden Beben der Räder.
    Claude aber war vor Begeisterung auf die Bank gestiegen. Er zwang seinen Begleiter, den über dem Gemüse aufgehenden Tag zu bewundern. Es war ein Meer, das sich zwischen den beiden Gruppen der Hallen von der Pointe SaintEustache bis zur Rue des Halles erstreckte. Und an beiden Enden, an den beiden Kreuzungen, stieg die Flut noch an, überschwemmte das Gemüse das Pflaster. Langsam erhob sich der Tag in ganz zartem Grau und wusch alle Dinge in einem hellen Aquarellton. Diese wie dichte Wellen wogenden Haufen und dieser Strom von Grün, der in der Eindeichung des Fahrdamms zu fließen schien gleich dem Hereinbrechen der Herbstregen, nahmen zarte und beperlte Schatten, weiches Veilchenblau, milchig getöntes Rosa, in Gelb ertrunkenes Grün, alle bleichen Farben an, die beim Sonnenaufgang den Himmel zu schillernder Seide werden lassen; und in dem Maße, wie der Brand des Morgens in Stichflammen hinten in der Rue Rambuteau emporstieg, erwachte das Gemüse mehr und mehr und stach ab von der tiefen Bläue, die sich schwer über die Erde hinzog. Salat, Endivie, Lattich, Schikoree zeigten, noch von der fetten Gartenerde bedeckt, ihre strahlenden Herzen; die Spinat und Ampferpacken, die Artischockensträuße, die Bohnen und Erbsenhaufen, die Stapel von mit Strohhalmen zusammengebundenem römischem Salat sangen die ganze Tonleiter des Grüns vom Lackgrün der Schoten bis zum derben Grün der Blätter, eine anhaltende Tonleiter, die erst bei den Flecken der Selleriestengel und den Porreebunden erstarb. Aber die gellendsten Töne, die am lautesten erklangen, waren noch immer die lebhaften Flecke der Möhren und die reinen Flecke der Kohlrüben, die in ungeheurer Menge über den ganzen Markt verstreut waren und ihn mit der grellen Zusammenstellung ihrer beiden Farben erhellten. An der Kreuzung der Rue des Halles türmte sich der Kohl zu Bergen: riesige Köpfe Weißkohl, fest und hart wie Kugeln aus bleichem Metall, Wirsingkohl, dessen große Blätter flachen Bronzebecken ähnelten, Rotkohl, den die Morgenröte in herrliche weinrote Blütenpracht mit karmin und dunkelpurpur Druckstellen verwandelte. Am anderen Ende, an der Kreuzung bei der Pointe SaintEustache, war der Zugang zur Rue Rambuteau durch eine Barrikade von orangefarbenen Kürbissen versperrt, die sich in zwei Reihen zur Schau stellten und ihre Bäuche vorstreckten. Und hier und da entflammten der Goldkäferlack eines Korbes Zwiebeln, das blutige Rot eines Haufens Tomaten, das verwischte Gelb einer Ladung Gurken, das dunkle Violett einer Traube Eierfrüchte, während große, zu Trauertüchern nebeneinandergelegte Schwarzrettiche Löcher von Finsternis inmitten der bebenden Freuden des Erwachens übrigließen.
    Claude klatschte bei diesem Anblick in die Hände. Er fand »dieses lumpige Gemüse« überspannt, toll,

Weitere Kostenlose Bücher