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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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Beethovens.
    Es geschah urplötzlich und ansatzlos, ohne den gewohnten kalten, einhüllenden Hauch. Keine Spur von Zeitverschiebung oder Zeitschleifen. Plötzlich wusste Meer, wie sie das Lied der untergegangenen Erinnerung finden konnte.
    Vor ihrem inneren Auge schnitt sie das aus zehn Kreisen bestehende Symbol in der Mitte durch. Und dann straffte sie die Halbkreise, als wären sie aus Garn – zu zehn waagerechten Geraden.
    Zehn Linien mit Markierungen an unterschiedlichen Stellen. Keineswegs ein willkürlich angeordnetes Muster, sondern vielmehr perfekte Notenzeilen. Und jetzt begriff sie auch die Kerben auf den Linien: Sie stellten Noten dar.
    C – G – D – A – E – H – Fis – Cis – Gis – Dis – B – F.
    Sie studierte die vertraute Notensequenz, und auf einmal kam alles zusammen: vieles, das sie gelesen, das ihr Vater erzählt, das ihre Dozenten auf dem Konservatorium gelehrt hatten. Das hier war der Quintenzirkel, wie Pythagoras ihn vor zweitausendfünfhundert Jahren bestimmt hatte – die Verbindung zwischen Harmonien und dem menschlichen Energiesystem. Die Quinte war außerdem das in der sakralen Musik am häufigsten angewandte Intervall und stand in dem Ruf, menschliche Energien zu harmonisieren. Pythagoras hatte aus Quinten aufgebaute Kompositionen benutzt, um Krankheiten zu heilen oder Stimmungsschwankungen hervorzurufen. Es hieß, Pythagoras habe durch Erforschen seiner Vorleben eine Konstante entdeckt, eine universale Lebensform, die aller Materie innewohnte und diese miteinander verband: Schwingung. Alles, so Pythagoras, vom Sandkorn bis hin zu den Sternen, befinde sich in einem Zustand permanenter Schwingungen.
    Es war, als greife sie tief in jenes kollektive Bewusstsein, von dem ihr Vater ständig sprach, als pflücke sie die Informationen wie eine einzelne Traube aus einer Rispe: In diesem Moment wurde Meer nun klar, dass die von Devadas’ Bruder Rasul in die Knochenflöte geritzten zwölf Noten eine Melodie darstellten. Eine Melodie der Erinnerung – zu Ehren eines jäh beendeten Lebens. Eine Weise, geschrieben, um die junge Ohana zu trösten, die Rasul den Knochen ihres Liebsten gebracht hatte. Ein Lied, das ihr helfen sollte, sich daran zu erinnern, dass dem Tod stets ein Leben vorausging und vor diesem Leben ein Tod, und dass auch nach diesem Tod wieder ein Leben folgte. Die Kreise setzten sich endlos fort, und ein jeder, der damit einmal verbunden war, würde aufs Neue diese Verbindung eingehen.

69. KAPITEL
    M ittwoch, 30. April – 23:03 Uhr
    Kurz nachdem Malachai Samuels aus dem Taxi gestiegen war, hielten auch Lucian Glass und Inspektor Kalfus vor dem Hotel Sacher und beobachteten, wie der Amerikaner durch den Vordereingang verschwand. Den ganzen Tag waren sie ihm und seinen beiden Begleitern gefolgt: vom morgendlichen Besuch im Krankenhaus, dann zu einem Antiquariat, danach zum Beethoven-Haus und zu guter Letzt in den Rathaus-Park, wo die Wege der drei sich getrennt hatten.
    Dank des nach wie vor funktionierenden Peilsenders war es für den österreichischen Kripobeamten und seinen amerikanischen Kollegen ein Leichtes gewesen, Samuels zu observieren. Dem Team allerdings, das Meer Logan und ihren Begleiter beschattete, stand eine solche Möglichkeit nicht zur Verfügung, und nachdem die beiden in letzter Sekunde eine Straßenbahn erwischt hatten, hatte man sie verloren.
    “Wenn’s Ihnen nichts ausmacht”, sagte Lucian zu seinem österreichischen Kollegen, “würde ich gerne warten, bis Meer Logan kommt.”
    Kalfus bedachte ihn mit einem neugierigen Blick. “Hier ist aber wohl nicht nur rein dienstliches Interesse im Spiel, hm?”
    “Es ist ein Fall, Kalfus. Ein Fall, den ich lösen will.”
    “Haben Sie eine persönliche Beziehung zu der Frau?”
    “Ich bin ihr noch nie begegnet.”
    Die beiden Gesetzeshüter blieben auf Posten bis halb zwei in der Früh. Als Meer Logan bis dahin immer noch nicht aufgetaucht war, drang Kalfus darauf, eine Ablösung herbeizubeordern und sich aufs Ohr zu legen.
    Lucian indes hockte schlaflos in seinem Hotelzimmer, den Fernseher auf stumm geschaltet, und brachte Skizzen vom Verlauf des Tages zu Papier. Noch bevor die Zeichnungen fertig waren, riss er sie nacheinander aus dem Skizzenblock heraus und warf sie auf den Fußboden, bis sich ein Stapel von gut einem Dutzend Blättern gebildet hatte. Um die Skizzen selber ging es ihm nicht. Es war vielmehr das Zeichnen selbst, die Aktivität, die Bewegung, das Abreagieren der Spannung, wonach

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