Der Beethoven-Fluch
Bekannten und Freunde vernachlässigt. Er hatte seinem Beruf alles gegeben, was er von ihm verlangte. Und was war der Lohn gewesen?
Jahrelange Berichterstattung über Terrorismus und weltweite Sicherheitsprobleme hatten ihn eins gelehrt: Keine noch so neue und ausgefeilte “Mausefalle” konnte die Probleme lösen, vor denen die Welt stand. Und Leute wie Paxton durften nicht länger so tun, als könnten sie Sicherheit gewährleisten.
Genau deswegen machte ihm die Frage Kopfzerbrechen. Wer mochte wohl der Fahrer dieser schwarzen Limousine sein? David versteckte sich schließlich nicht nur vor Abdul und seinen Schergen. Nein, er verbarg sich auch vor der Polizei. Und vor Sicherheitsfirmen wie Global Security, die an der Konferenz der International Security and Technology Association teilnahmen und gleichzeitig für deren Schutz sorgen sollten. Ohne es zu wissen, hielten sie alle Ausschau nach ihm – zwar nicht direkt nach David Yalom, doch nach der anonymen, im Verborgenen lauernden Bedrohung, die darauf abzielte, die Konferenz zu torpedieren. David wusste, wie Leute von Paxtons Schlag ihre Unternehmen führten: Sie warteten nicht darauf, bis eine Gefahr sich andeutete, sondern sie spielten Hunderte von denkbaren Angriffsszenarien durch und entwarfen die entsprechenden Pläne für Abwehrmaßnahmen. In den kommenden fünf Tagen, so nahm David an, würde man somit nach ihm forschen, auch ohne seinen Namen oder sein Foto. Und deshalb musste er den Spähern stets einen Schritt voraus sein. Genau deswegen suchte er nun das Museum auf.
Als er auf die prächtige Freitreppe zuging, musste er dem Drang widerstehen, sich umzudrehen und zu sehen, ob er beschattet wurde. Falls dem so war, durfte er auf keinen Fall zu erkennen geben, dass ihm die Überwachung aufgefallen war. Den Blick also bewusst zu Boden gesenkt, bemerkte er deutlich die leicht ausgetretenen Stellen in den Marmorstufen, abgenutzt von den unzähligen Besuchern, die über diese Treppe das Museum betreten hatten.
Oben auf dem Podest angelangt, folgte David dem Museumsplan zur Bibliothek, wo er einen Termin hatte. Dort zückte er seine Akkreditierung und präsentierte sie der jüngeren von zwei am Empfang sitzenden Bibliothekarinnen. Sie studierte die Ausweise ein Weilchen und schaute dann lächelnd auf. “Sie arbeiten also an einem Artikel über den Schriftsteller Hermann Broch”, sagte sie auf Englisch, und schon hatte er das Gefühl, als tue sich die Forschungsstätte vor ihm auf.
“Richtig”, log er. “In seiner Korrespondenz erwähnt er, dass er diese Bibliothek für seine Recherchen nutzte. Ich möchte mir die von ihm angeführten Quellen einmal persönlich anschauen. Hier ist die Liste … Zumeist handelt es sich um historische Drucke, Bücher und Karten.”
Die besagte Korrespondenz war zwar frei erfunden, doch David kam mit seiner Flunkerei durch, und binnen einer Viertelstunde hatte er sämtliche aufgelisteten Materialien aus den Bibliotheksregalen vor sich liegen. Eine geschlagene Stunde saß er danach am Kopfende eines langen Holztisches und wühlte sich durch die Quellen, wobei er sich in seinem Spiralblock Notizen machte. Schließlich gelangte er zu dem einen Fundstück, dessentwegen er eigentlich hergekommen war: eine antike Karte der Stadt Wien, etwa um 1750 entstanden, mit genauen Angaben zu Ausgrabungen von Überresten aus römischer Zeit. Wassong hatte steif und fest behauptet, es gäbe keine Zeichnungen oder Pläne der unterirdischen Krypta. Es bereitete David eine fast perverse Freude, dass er doch auf eine gestoßen war, und zwar durch einen diffusen Hinweis in den kartografischen Archiven der Stadt Wien.
Die Zeichnung war verblasst, an den Faltkanten abgenutzt und an den Rändern ausgefranst, und auf jeden Fall problematisch. Denn sie zeigte die Kammern genau unter der Stelle, wo nun das Konzertgebäude des Musikvereins stand: Bösendorferstraße 12. Falls ein Mitarbeiter von Global Security auf diese Karte gestoßen sein sollte, war die Existenz des Labyrinths, das David zum Schauplatz seines ganz privaten Terroranschlags ernannt hatte, vermutlich bereits aufgedeckt. Und damit war sein Plan zum Scheitern verurteilt.
Er stand auf und wand sich durch die engen Gänge zwischen den Tischen hindurch zum Empfang. “Entschuldigen Sie”, sagte er zu der Angestellten, die ihm beim Kommen geholfen hatte und inzwischen allein hinter ihrem Tresen saß.
“Ja, Mr. Yalom? Was kann ich für Sie tun?”
“Haben Sie Unterlagen, aus denen
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