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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
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recht. Um ihn zu retten.” Er trat näher an die Tür heran, griff durch die Eisenstangen und berührte Meer. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. “Und Sie, Sie verraten mir jetzt die Noten, weil Sie um jeden Preis Ihren Vater retten werden. Habe ich recht?”
    “Was fällt Ihnen ein! Wie können Sie es wagen, meine Tochter derart zu benutzen?”, polterte Jeremy aufgebracht. Meer sah, wie seine Halsschlagader hervortrat, sah den Pulsschlag unter der blassen Haut.
    “Bitte, Meer!”, flehte Sebastian. “Sagen Sie mir die Noten! Dann kommen Sie hier auch beide heil wieder raus!” Er hielt ihr die Flöte hin. Im matten Licht wirkte sie wie ein lebendiges Wesen – vermutlich, weil seine Hand so zitterte. Es tat Meer in der Seele weh, dass dieses uralte Instrument, das ja ursprünglich Trost und Wohlergehen bringen sollte, nunmehr dazu missbraucht wurde, Schmerzen zuzufügen sowie Verwirrung und Chaos zu stiften.
    “Tu es nicht, Meer!”, flehte ihr Vater. “Du darfst dein Versprechen nicht brechen, selbst wenn es Jahrhunderte zurückliegt. Auch nicht um meinetwillen.”
    Woher wusste er, dass Margaux Beethoven versprochen hatte, ihm zu helfen, die Flöte zu verstecken? Aber diese Frage musste Meer sich für später aufsparen, denn Sebastian hatte sich abgewandt. Mit zwei Schritten durchmaß er den engen Stollen und beugte sich über einen antiquierten Heizkessel, eingepasst in eine Nische, in der zudem noch ein paar Römergebeine zur letzten Ruhe gebettet worden waren. Nach einigen erfolglosen Versuchen gelang es ihm schließlich, das schwarze Stellrad zu bewegen und auf Position “AN” zu stellen.
    Meer spürte, wie ihr Vater neben ihr mühsam nach Luft rang. “Was macht er da?”, flüsterte sie.
    “Stellen Sie das Gas ab, Sebastian!”, rief Jeremy aus. “Wenn die Polizei herausfindet, dass Sie das waren, landen Sie hinter Gittern! Das hilft Nicolas oder Ihnen auch nicht weiter!”
    “Aber nicht, wenn ich später zurückkomme und euch rauslasse.” Er ruckte das schwarze Stellrad noch etwas weiter nach rechts. Das scharfe Zischen des ausströmenden Gases war Warnung genug.
    “Nicht nötig! Nun drehen Sie endlich den Gashahn zu, Sebastian!”, drängte Jeremy mit niedergeschlagener Stimme. “Meer, gib ihm, was er will!”
    “Ich drehe das Gas ab, nachdem ich die Noten habe! Wir haben genug Zeit. Meer? Ich höre!”
    Inzwischen war Sebastian wieder ans Gitter getreten, zog Stift und Papier aus der Tasche und wartete. Meer hätte ihm den Stift abnehmen können. Sie überlegte, ob sie ihm auch wohl den Zellenschlüssel entwenden konnte; ihr war aufgefallen, wie er ihn kurz zuvor in die Hosentasche gesteckt hatte.
    “Die Tonfolge”, erklärte sie, an ihren Vater gewandt, “habe ich erst spät gestern Abend herausgekriegt.” Hoffentlich verstand er ihren Hinweis!
    “Das können Sie ihm später erzählen!”, raunzte Sebastian.
    “Den Schlüssel”, fuhr sie ungerührt fort, “hatte ich die ganze Zeit direkt vor der Nase, und …”
    “Meer!” Sebastian platzte allmählich der Kragen.
    Meer blieb keine Wahl. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Vater den verklausulierten Hinweis verstanden hatte. Den Blick auf die Flöte gesenkt, las sie die zwölf in den konzentrischen Kreisen versteckten Noten vor – bewusst langsam, obwohl sie die Quintenzirkel auswendig konnte. Es galt, ihrem Vater Zeit zum Eingreifen zu verschaffen.
    Sie hörte, wie ihm der Atem stockte, als er die Sequenzen erkannte.
    “Dann noch ein C”, sagte sie zu Sebastian, “und das Ganze von vorn.”
    Sebastian blickte von seinem Zettel auf. “Woher weiß ich denn, dass diese Noten auch die richtigen sind?”
    “Sie sind es. Ich würde Sie nicht belügen, wo doch das Leben meines Vaters auf dem Spiel steht. Lassen Sie uns jetzt raus, damit ich ihn zurück ins Krankenhaus bringen kann?”
    “Sobald ich Gewissheit habe.” Rasch griff er wieder durch die Gitterstäbe. Er riss Meer die Flöte aus der Hand, setzte sie an die Lippen und begann, die Melodie der verlorenen Erinnerungen zu spielen: C, G, D …
    Meer überlief ein Frösteln.
    Sebastian spielte ein A, danach ein E.
    Zähneklappern setzte ein.
    Die Töne, die der Knochenflöte entschwebten, waren die Begleitmusik ihres Lebens. Mitreißend und fesselnd, verlockend und hypnotisch. Am Abend zuvor hatten sie noch keinen Erinnerungssprung ausgelöst … Vielleicht wurde der Spieler oder die Spielerin selber ja gar nicht so angerührt – jedenfalls nicht so, wie sie momentan

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