Der Beethoven-Fluch
nicht mehr, höchstens eine Ziegelschicht und einen Halogenstrahl entfernt. Vermutlich handelte es sich um Paxtons Leute, denn sie sprachen amerikanisches Englisch. Hundertprozentig sicher war David indes nicht. Durchaus möglich, dass es von Abdul gedungene Schergen waren, dazu beauftragt, ihm bis in diese unterirdischen Gewölbe nachzuspüren. Und dass sie ihm dicht auf den Fersen waren, davon war David überzeugt. Man konnte sie im Luftschacht hören; sie rückten immer näher an sein Versteck heran.
Ja, inzwischen wäre es ihm sogar recht gewesen, wenn es Paxtons Leute wären. Fast hoffte er, dass sie ihn noch entdeckten, ihm ein Schnippchen schlugen, den Beweis erbrachten, dass ihre Mausefalle dieses Mal tatsächlich so gut funktionierte wie behauptet. Dass sie aus dem Versagen von vor anderthalb Jahren gelernt und sich verbessert hatten. Dann wäre David sogar beeindruckt gewesen von dem draufgängerischen, von sich und seinem Können so überzeugten Amerikaner. Im Grunde genommen hatte er nichts dagegen, dass die Guten gewinnen.
89. KAPITEL
M usikverein, Großer Musikvereinssaal
Donnerstag, 1. Mai – 19:37 Uhr
Der Wiener Bürgermeister Hermann Strauss sowie seine erheblich jüngere Ehefrau Annabelle saßen in der ersten Reihe. Die Bürgermeistergattin nestelte an einem verdeckten Ärmelknopf ihres rubinroten, passend zum Rotgold des Konzertsaales ausgesuchten Abendkleides. Sie ließ den Blick in die Runde schweifen, um festzustellen, wer sich mit wem die Ehre gab und vor allem in welcher Garderobe. Während das Stadtoberhaupt hingebungsvoll den musikalischen Darbietungen lauschte, war seine Frau Gemahlin sichtlich gelangweilt. Gelangweilt von der Musik. Gelangweilt von endlosen Veranstaltungen. Vor der Heirat hatte ihr Mann sie nicht so häufig zu offiziellen Anlässen mitgenommen, doch jetzt konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, als täten sie überhaupt nichts anderes mehr. Und eins stand für sie fest: Sollte er noch ein einziges Mal erwähnen, wie sehr seine geliebte verstorbene Frau klassische Musik geliebt hatte, würde sie Gift und Galle spucken.
Und in der Tat: Strauss bemerkte nicht, in welcher Stimmung seine bessere Hälfte war. Mit durchgedrücktem Kreuz saß er in seinem roten Plüschsessel, stolz auf seine Philharmoniker und deren künstlerische Glanzleistung. Dabei entging ihm auch nicht, dass die meisten ausländischen Würdenträger nicht nur mehr als angetan waren, sondern geradezu begeistert. Strauss war überzeugt, dass das Konzert selbst eingefleischte Musikbanausen nicht kaltließ. Er wusste, dies war keine normale Aufführung; hier fand vielmehr etwas Einmaliges statt. Das spürten die Zuhörer doch wohl, oder?
Stan Miller, der Vorsitzende der International Security and Technology Association, guckte verstohlen auf seine Uhr. Nicht, dass ihm die Musik nicht gefallen hätte – im Gegenteil. Das Konzert war eine Glanzvorstellung, angefangen von der kraft-und gefühlvollen, virtuosen Dirigentenleistung bis hin zum fehlerlosen Spiel sämtlicher Orchestermitglieder. Zum Abschluss einer zermürbenden viertägigen Tagung stellte dieser Galaabend eindeutig unter Beweis, welche Fortschritte die ISTA seit den Anschlägen auf das World Trade Center in puncto neuer Sicherheitsmaßnahmen erzielt hatte. Doch irgendwie war ihm flau, als sei ihm das Dinner nicht recht bekommen. Zwar hatte er unmittelbar vor Beginn des Konzerts ein paar Tabletten gegen Sodbrennen eingenommen, aber anscheinend wirkten die nicht besonders. Bemüht, sich nicht dauernd auf das Brennen in seiner Brust zu konzentrieren, richtete er sein Augenmerk lieber auf die Gesichter der Musiker.
Zwei Reihen hinter ihm saß Greta Osborn, eine berühmte und gefeierte österreichische Opernsängerin. Die voluminösen, brillantenbesetzten Ohrringe pieksten in ihre Ohrläppchen. Ihr Sitznachbar, ein fescher junger Tenor, spürte wohl ihr Unbehagen und wandte sich ihr lächelnd zu. Greta war ganz begeistert von den kursierenden Klatschgerüchten, sie habe sich den jungen Mann als Lover zugelegt. Das stimmte zwar nicht, denn er hatte das Gerücht selbst in die Welt gesetzt, um seine Karriere zu fördern. Greta wusste das aber und nutzte es weidlich aus, denn auch für ihre eigene Laufbahn erwies es sich als alles andere als nachteilig. Immerhin war sie vierundsiebzig und er vierzig Jahre jünger als sie. Die Vorstellung eines jugendlichen Liebhabers jedenfalls versetzte sie geradezu in Entzücken, passte sie doch haargenau zu
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