Der Bernstein-Mensch
Es war keine eindrucksvolle Pose; er sah sehr müde aus. „Wenn ich sie wäre, wäre es keiner.“
„Du würdest die Welt zerstören, um dich zu retten?“ fragte Mara verblüfft.
„Ja.“ Er nickte traurig. „Um mein Volk zu retten.“
„Nun, aber es wird nicht geschehen.“ Ihre Stimme klang gedämpft. „Du sagst, es habe eine Verlängerung gegeben.“
„Wir werden sehen.“ Er stand abrupt auf, wie mechanisch. „Aber deswegen hast du mich nicht gerufen.“
„Nein.“ Sie streckte den Arm aus und nahm das Papier mit dem Puzzle vom Bett. „Es geht um das hier. Ich habe eine Idee.“
Er nickte. „Sagtest du schon. Und was für eine?“
„Ich …“ Sie sah, daß ihn das nicht zufriedenstellen würde. „Ich möchte es dir eigentlich jetzt nicht sagen, noch nicht. Ich weiß nicht genug. Es kam durch etwas, was Corey mir einmal erzählt hat. Über die Delphine.“
„Ich weiß von den Delphinen.“
„Ja, aber das war erst der Anfang.“
Kaum ein Funke von Interesse war in seinen Zügen aufgeflackert. Sie sah, daß Bradley die Streitereien und den beständigen politischen Stellungskrieg satt hatte. Tom Rawlins wollte immer noch, daß Bradley seines Amtes als Commander enthoben wurde. Es war seltsam, aber Rawlins erwies sich oft als ein Mann von machtvoller Überredungsgabe. „Kurt“, sagte Bradley, „wissen Sie mehr darüber?“
„Kein bißchen. Ich war nicht hier, als sie ihre Idee hatte.“
Bradley schüttelte den Kopf. „Mara, das alles kommt mir nicht sehr dringlich vor.“
„Aber es ist nicht alles.“ Mara merkte, wie ihre Stimme lauter wurde, und bemühte sich, einen schrillen Ton zu unterdrücken. „Ich brauche deine Erlaubnis. Meine Idee. Ich will es nicht dabei belassen. Ich will hinaus.“
Bradley runzelte verständnislos die Stirn. „Das ist unmöglich.“
„Sagen Sie das“, fragte Tsubata mit überraschender Heftigkeit, „oder ist es Rawlins?“
Mara war taktvoller. „Es ist unbedingt notwendig, Bradley.“
„Nein, das ist es nicht. Wenn es das wäre, würdest du mir sagen, worum es sich handelt. Wenn ich es wagen wollte, dich aus diesem Zimmer zu lassen, würde man mich nicht nur feuern, sondern auch lynchen. Du warst einmal draußen – mit Kurt. Es hat nichts gebracht.“
„Diesmal will sie weiter“, sagte Tsubata.
„Zum Jupiter“, sagte Mara. Sie holte tief Luft und ließ ihre Worte dann in einem Schwall explodieren. „Mit einem Gleitschiff in die Atmosphäre.“
Bradley schüttelte verdattert den Kopf. Er sah Tsubata an, nicht Mara. „Jetzt ist einer von euch beiden verrückt geworden. Was könnt ihr denn da finden, was eine unbemannte Sonde nicht finden könnte?“
„Leben. Intelligentes Leben.“
„Du wirst zu einem Häufchen Asche verbrennen, Mara.“
„Dann lassen Sie mich gehen“, sagte Tsubata. „Mara ist wichtig. Es ist eine Beeinträchtigung für das Orb, wenn sie stirbt. Aber ich bin ersetzbar. Mich können Sie aufs Spiel setzen.“
„Nicht für nichts.“ Bradley blieb unerschüttert auf seinem Standpunkt. „Mara hat keinem von uns erklärt, wieso es nötig ist, daß jemand stirbt.“
„Weil …“ begann Mara.
Ein Summen unterbrach sie. Ein Grollen. Ein Surren. Corey leuchtete plötzlich voller Leben. Seine Stimme kam schnurrend. „Dann lassen Sie mich gehen.“
Bradley fuhr herum. Maras Herz begann zu flattern wie ein kleiner Vogel, erfüllt von Mißtrauen.
„Sie können mich gehen lassen“, fuhr Corey fort, „denn mein Leben bedeutet niemandem etwas. Ich bin das Ding im Kasten, ein Mensch aus Metall. Wenn es mir nicht gelingt, wem dann?“
„Mir“, sagte Mara.
„Irgend jemandem“, sagte Tsubata.
„Nein. Corey.“ Bradley nickte mit plötzlicher Entschlossenheit. „Er hat recht. Er muß es tun.“
5
Bradley saß untätig da und ließ die Dinge in ihrem eigenen, schwerelosen Rhythmus geschehen.
Sein Schreibtisch war leer (bei einem guten Computer gibt es nur wenig Schreibarbeit), und so legte er die Füße hoch und verlagerte den leichten Druck seines Gewichtes auf das knotige Ende seiner Wirbelsäule. Schlecht für die Haltung, erinnerte er sich. Margo Landau (Biochemikerin, achtundsechzig, und mit einem besonderen Talent, ihn so zu halten, mit gespreizten Beinen in der schwachen Gravitation, während er, bebend vom Alter, seinen Höhepunkt erreicht) würde ihn, sanft nörgelnd, darauf hinweisen. Aber mit einhundertsiebenundzwanzig Jahren war er fast sein halbes Leben lang alt gewesen, während
Weitere Kostenlose Bücher