Der Bernstein-Mensch
geringschätzige Gebärde über den Raum, in dem so viele Spiele gespielt worden sind – „… ich kann mich nicht hier drin mit Corey verkriechen. Nicht um mich solltest du dir Sorgen machen. Finde diesen Mann und sorge dafür, daß er aufhört.“
„Und wenn ich das nicht kann? Ich bin kein Detektiv. Auf der Erde sind deine eigenen Leute in diesem Augenblick dabei, zehn Millionen Menschen mit dem Tode zu bedrohen. Im Vergleich zu denen ist dein Leben ohne Bedeutung, Mara.“
„Die Anschläge gegen mich haben vorher angefangen. Ich bin nicht dafür verantwortlich. Jack the Ripper war ein menschliches Wesen. Jesse James war Amerikaner. Soll ich dir deswegen Vorwürfe machen?“
„Ich finde immer noch, du solltest hierbleiben.“ Seine langen, fleischigen Hände kehren zu ihrer Beute zurück. Er hält Mara fest und seine Augen suchen ihre. „Ich will es überprüfen. Ich stecke bis an die Ohren in Schwierigkeiten, aber ich kann etwas tun. Wenn es ein gezielter Anschlag war, muß es jemand gewesen sein, der wußte, daß du hinausgingst, und der in der Lage war, sich am Shuttle zu schaffen zu machen. Ich werde Tsubata fragen, wem er es erzählt hat.“
„Er hat mir versprochen, es niemandem zu sagen.“
„Laß mich mit ihm reden.“
Mara lacht schrill. „Damit du deine Liste von Verdächtigen einengen kannst? Wer war’s beim letzten Mal? Alle außer dir und Corey? Und wie viele diesmal? Nur dreihundert, zweihundert, höchstens fünfzig. Nur fünfzig Leute im Umkreis von ein paar Metern, die mich tot sehen wollen. Jetzt fühle ich mich schon besser, Bradley. Bestimmt.“
„Ich glaube, es sind weniger ab fünfzig, Mara.“
Corey schaltet hier ab. Es gelingt ihm jetzt allenfalls, die Grundfunktionen seines Systems aufrechtzuerhalten. Oft wird es in ihrem Kasten so dunkel wie jetzt. Licht ist ein Phänomen, das man Corey von Geburt an vorenthalten hat. Andere reden von der rohen Empfindung von Hitze auf der Haut. Ein winterlicher Segen. Mag sein, daß Mara redet. Mag sein, daß Bradley antwortet. Corey hört nichts. In ihrem Kasten kehrt sie zu dem Augenblick ihrer Mädchengeburt zurück und erlebt diese Erfahrung noch einmal. Der Atem kommt langsam. Ein Wimmern. Ein Weinen. Ein Schrei. Geboren. Leben. Geboren. Er ruft seine Delphine und hört sie klickern klackern schnattern. Eines der schlanken Tiere gleitet behende durch stilles blaues Wasser und springt dann, ungehindert, in die hohe, singende Sonne. Für Corey leuchtet nichts. (Er) (sie) (es) Corey erlischt. Corey?
Mara starrte unruhig auf den dunklen, stummen, reglosen Stahlkasten. „Was ist passiert?“ fragte sie Bradley, nicht zum erstenmal. „Er kann nicht tot sein.“
„Ich habe keine Ahnung. Wir müssen einfach abwarten.“
Norah Manns dunkelblaue Uniform straffte sich und gab eine abstrakt detaillierte Abbildung ihrer Knochen mit einer Andeutung von Fleisch. Sie kauerte neben Corey. Es wirkte seltsam, als sie ein Stethoskop aus ihrem Instrumentenkoffer zog und es an die Seitenwand von Coreys Kasten legte. Mara preßte die Hand auf den Mund, um nicht zu kichern. Hatte Corey überhaupt ein Herz?
Endlich wandte Norah Mann sich ab und legte ihr Werkzeug zurück in den Koffer. „Nein, es lebt noch“, sagte sie. „Ich weiß nicht, was los ist, aber tot ist es nicht.“
„Sind Sie sicher?“ fragte Mara.
„So sicher, wie ich dabei sein kann. Ich bin keine Expertin für Stahlkästen. Niemand von uns ist das. Aber die Hirnströme sind scharf, klar und sehr deutlich, stärker als im Tiefschlaf. Eine ausgeprägte C-Delta-Signatur. Die übrigen körperlichen Äußerungen, soweit es welche zu haben scheint, sind ganz normal. Wenn eine körperliche Fehlfunktion vorliegt, kann ich sie nicht finden.“
„Und Sie meinen nicht, daß wir noch einen Arzt hinzuziehen sollten?“ fragte Bradley.
„Wenn Sie wollen. Ich glaube aber nicht, daß es etwas nützt. Ich würde jemanden nehmen, der dieses Ding kennt, seit es gebaut … geboren wurde. Seine ganze Struktur ist einfach zu sonderbar. Haben Sie schon mal ein Röntgenbild gesehen?“ Sie griff nach ihrem Koffer.
„Das ist nicht nötig.“ Norah Mann war jung, hübsch und sehr dunkel. Bradley schien ihr nicht zu trauen. Die Vorurteile des Alters? fragte Mara sich. Meine Güte, ob er die auch gegen mich hat? „Was empfehlen Sie?“
„Bleiben Sie bei ihm, würde ich sagen. Falls irgend etwas passiert. Ich kann alle paar Stunden vorbeikommen und einige zusätzliche Analysen machen. Sonst
Weitere Kostenlose Bücher