Der Bernsteinring: Roman
und keine abgeschobenen Patriziertöchter.«
»Einfache, aber ehrliche Frauen. Du vergisst deine Herkunft!«
»Der Mann, an den du mich verkauft hast, sagt, ich soll bei ihnen vorsprechen.«
Horsel schnaubte, und ihr rundes Gesicht wurde noch etwas röter.
»Ach, hat er gesagt? Der wird das gerade wissen!« »Horsel, wer war der Mann?«
»Das braucht dich nicht zu interessieren.«
»Das tut es aber.«
»Kümmere dich nicht um diese Dinge. Überlass das mir. Und nun gib mir das Gold. Den Handel habe ich abgeschlossen. Ich werde es schon richtig verwenden, glaub mir.«
»Das Geld gehört mir, Horsel, denn ich habe den Handel vollzogen!«
»Und wovon zahlst du die Miete? Den halb verhungerten Studiosus, der dich Latein lehrt? Den Wein, den du trinkst, und die feinen Pasteten, die du so liebst?«
»Wenn ich zu den Beginen gehe, brauchst du dich darum nicht mehr zu kümmern.«
»Wenn du zu diesen armen Weibern gehst, bist du nicht viel besser dran, als wenn du einen Bettler heiratest!«
»Ich bin besser dran, als wenn ich mich jedem hingeben muss, der mir dafür etwas zahlt.«
»Deine Mutter hat das anders gesehen. Und du musst ja nicht jedem Beliebigen deine Gunst erweisen. Du bist ein hübsches Mädchen und wirst eine schöne Frau. Du hast Benehmen und Bildung. Du wirst unter den einflussreichen Männern die Wahl haben. Lass mich das für dich nur richten. Sie suchen doch alle ihre Abwechslung.«
»Ich suche sie aber nicht, Horsel.«
»Es ist ein Jammer, dass deine Mutter dir solche Flausen in den Kopf gesetzt hat. Sie hätte es besser wissen müssen.«
»Meine Mutter war anders als ich!«
»Ja, wahrhaftig. Sie wusste ihre Fähigkeiten richtig einzusetzen. Sie hat dir auf diese Weise ein Leben in Luxus ermöglicht, denk daran.«
Anna seufzte. Sie wusste, Horsel hatte Recht. Cosima hatte reiche Gönner gehabt, Männer von Macht und Vermögen. Mit ihrem klugen Verstand hatte sie sie genauso bezaubert wie mit ihren körperlichen Reizen. Vieles, was in den Kreisen der städtischen Politik und in den vornehmen Familien vor sich ging, hatte sie dabei erfahren, und inzwischen vermutete Anna, dass sie dieses Wissen wohl auch nutzbringend eingesetzt hatte. Doch diese Art von Gewandtheit lag ihr selbst fern.
Horsel argumentierte noch eine ganze Weile, scheiterte aber an der unnachgiebigen Haltung ihres Schützlings. Schließlich seufzte sie und ging ihrer Arbeit nach. Erst am Abend brachte sie das Gespräch erneut auf das Thema. Anna saß in der Stube am Kamin und zupfte eine traurige Melodie auf ihrer Laute.
»Höre, Anna, ich habe nachgedacht.«
»So. Und was schlägst du mir jetzt vor? Ich warne dich, ich werde keinen weiteren Freier mehr in meine Kammer lassen. Auch wenn er noch so gut bezahlt.«
»Nein, das wirst du nicht. Ich habe es verstanden. Was hältst du davon, in einen Stift einzutreten?«
Ungläubig starrte Anna die ältere Frau an.
»Du musst von Sinnen sein! Dazu braucht es mehr als Geld. Dazu reicht es nicht, als ehrbares Weib zu gelten. Dazu muss man von Adel sein. Und benötigt jemanden von Rang, der für einen spricht.«
»Vielleicht. Es ist einen Versuch wert. Eine Stiftsdame hat erheblich mehr Möglichkeiten als eine bettelarme Begine.«
»Unmöglich.«
»Nein, nicht unmöglich. Ich kenne einen Mann, der es möglich machen kann.«
»Ich werde keinen Mann...«
»Nein, das hast du jetzt oft genug gesagt. Es hat etwasmit deiner Mutter und mir zu tun. Ich will sehen, was
ich erreichen kann. Also – willst du Kanonisse werden?«
»Will ich eine vornehme Frau sein? Das fragst du mich?«
»Gut. Dann gib mir das Gold, damit ich ein paar notwendige Anschaffungen tätigen kann, und dann sehen wir weiter.«
»Das Gold gehört mir.«
»Kein Gold, kein Stift!«
Anna zauderte, und Horsel ließ sie, wohlwissend, die Saat würde aufgehen, alleine.
Seit Anna denken konnte, war Horsel um sie gewesen. Ihre Mutter war viel zu sehr mit ihrem Aussehen, ihren Unterhaltungen, ihren jeweiligen Beschützern beschäftigt, als dass sie sich um ihre kleine Tochter wirklich mütterlich gekümmert hätte. Gefüttert und zu Bett gebracht hatte Horsel sie, sowie ihre ersten Schritte überwacht und darauf geachtet, dass sie immer einigermaßen sauber und ordentlich angezogen war. Ihre Mutter aber hatte mit ihr gesungen und gescherzt, ihr Näschereien auf dem Markt gekauft und bunte Bänder in das dunkle Haar geflochten. Sie hatte ihre Wissbegierde und ihre Talente unterstützt, Lehrer für sie gefunden
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