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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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und ihr die Formen feinen Benehmens beigebracht, die sie selbst von ihren Gönnern abgeschaut hatte. Anna hatte ihre Mutter geliebt, aber wenn sie sich die Knie aufgeschürft hatte, Alpträume sie drückten, sie Hunger oder Durst litt, dann war es Horsel, zu der sie lief. Sie hatte sie bisher nie enttäuscht. Und darum willigte sie schließlich am nächsten Morgen ein und gab Horsel den einen Beutel mit den Geldstücken, den ihr der Fremde anvertraut hatte.
    »Es wird ein paar Tage dauern. Bitte hab etwas Geduld.«
    »Schon gut. Du scheinst zu wissen, was du tun willst.« »O ja, das weiß ich.«
    Es war über eine Woche später, als Horsel mit der Nachricht kam, der ehrenwerte Handelsherr Hrabanus Valens sei geneigt, Anna zu besuchen, um sich ein Urteil darüber zu verschaffen, ob sie seiner Unterstützung würdig war.
    »Zieh das rote Kleid an, Anna. Es ist das Schönste, das du hast.«
    »Es ist das Sündigste, das ich habe.«
    »Hör auf, dich zu zieren, Mädchen. Es ist nicht sündig, ein vornehmes Gewand zu tragen. Steck deine Haare auf und bedecke sie mit einem Schleier. Und nimm all deinen Witz zusammen. Er ist ein gebildeter Mann und legt Wert auf gutes Benehmen. Vor allem aber starre ihn nicht an.«
    »Warum sollte ich ihn anstarren?«
    »Weil er gezeichnet ist. Und nun eile dich, er wird zur neunten Stunde hier sein.«
    Halb neugierig, halb misstrauisch kleidete Anna sich an und verhüllte ihre Haare sittsam unter einem weißen Schleiertuch. Wieder saß sie am Fenster ihrer Kammer und wartete auf einen Mann, der ihr Leben verändern sollte. Doch diesmal geschah es am lichten Tag und ohne Heimlichkeit. Immerhin eine Veränderung zum Guten, dachte sie. Dann sah sie ihn kommen, den hoch gewachsenen Herren in der weit fallenden, pelzbesetzten Schaube, dem schmucklosen Barett auf dem dunklen Haar, das Gesicht unter einem schwarzen Bart verborgen, der lockig bis auf die Brust reichte. Sie stand auf und schritt die Stiegen hinab in die Stube.
    Horsel, ganz knicksende Unterwürfigkeit, führte den Handelsherren hinein und bot ihm den besten Platzvor dem Kamin an. Er blieb indes stehen und musterte Anna, die langsam auf ihn zuging.
    »Dies ist Anna, Herr. Die Tochter von Cosima Dennes«, sagte Horsel mit ungewöhnlich süßer Stimme. »Ein braves Kind, wie man es sich nur wünschen kann. Anna, begrüße Herrn Hrabanus Valens.«
    Er nickte ihr zu, und Anna brachte eine Art Verbeugung zustande, aber den Rat, ihren Besucher nicht anzustarren, konnte sie nicht befolgen. Mit unverhohlenem Entsetzen blickte sie in das blatternnarbige Gesicht.
    »Ja, Kind, eine Schönheit bin ich nicht. Hast du dich nun genug daran geweidet?«
    Seine Stimme klang harsch, und seine dunklen Augen musterten sie kalt und durchdringend.
    »Verzeiht, Herr. Ich bin unhöflich. Bitte nehmt Platz.«
    Mit einer anmutigen Bewegung deutete sie auf die gepolsterte Bank und setzte sich dann ebenfalls nieder.
    »Deine – äh – Amme sagte mir, du hegst den Wunsch, ein Leben in geistlichem Dienst zu führen?«
    »Ja, Herr, ich wünsche, einem Konvent oder einem Stift beizutreten.«
    »Ein ungewöhnliches Ansinnen für ein Mädchen deiner Herkunft.«
    »Findet Ihr? Was stellt Ihr Euch denn vor, welches Ansinnen passender für mich sei? Soll ich eine Bader- hure werden oder das Weib eines Goldgräbers, eines Kloakenreinigers?«
    Horsel, die sich im Hintergrund mit Weinkaraffe und Pokalen zu schaffen gemacht hatte, sog zischend die Luft ein und fauchte: »Anna!«
    »Lass uns alleine, Weib!«, schnauzte Hrabanus Valens die Amme im Gegenzug an. Horsel stellte die Erfrischungen ab und verschwand wortlos.
    »Du siehst sanfter aus, als du bist, Mädchen!«
    »Ich bin sanft und gehorsam, Herr.«
    »Wem gegenüber?«
    »Allen, denen ich verpflichtet bin.«
    Er nickte anerkennend und trank von dem Wein.
    »Richtig, mir schuldest du nichts außer dem Respekt einem älteren Erwachsenen gegenüber. Doch wenn ich dir – möglicherweise – den Weg in ein Damenstift ebne, dann solltest du dich mir sehr verpflichtet fühlen. Wirst du mir dann Gehorsam leisten?«
    »Natürlich, Herr.«
    Anna senkte züchtig die Lider und gönnte ihrem Besucher einen Blick auf ihre langen, gebogenen Wimpern. Darunter glitzerte es.
    »Du würdest dein Temperament, ein cholerisches, wie ich vermute, zu zügeln wissen?«
    »Mein Temperament ist nicht cholerisch, Herr. Die gelbe Galle kommt mir nur selten hoch. Ich bin von sanguinischem Gemüt, und daher wissbegierig.«
    Interessiert

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