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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Angehörige der Stadtsoldaten, manchmal hungrige Reisende und auch das eine oder andere Mönchlein, dem das Klosterbrot zu mager erschien. Drei Mägde halfen der Wirtin, die Gäste mit allem zu versorgen, was das Haus bot. Einschließlich kleiner Liebesdienste im Hinterzimmer. Manchmal kamen Sänger oder Fiedler in den gut gefüllten Gastraum, abgebrannte Gesellen, die für ein Mahl und einen Krug Bier die Anwesenden mit ihrer Kunst unterhielten. Die Becker’sche Horsel war großzügig, solange das Fiedelgekratze und die derben Gassenhauer den Leuten gefielen. Dann lag schon mal ein Stück Wurst mehr in der Suppenschale, die sie als Lohn erhielten. Es hatte aber auch schon Auftrittegegeben, bei denen der Musikant unter dem Hagel faulender Kohlstrünke und abgenagter Knochen fluchtartig das Weite suchen musste.
    An diesem Abend war es jedoch ruhig, die Gäste unterhielten sich über die bevorstehenden Lustbarkeiten, die mit dem Turnier verbunden waren, das in zwei Monaten auf dem Alten Markt stattfinden sollte. Gemächlich trank man seinen Schoppen gewürzten Weines oder aus den irdenen Krügen das kellerkühle Bier. Zwei Reisende, Bauern aus dem Umland von Aachen, hatten es sich ebenfalls auf den Bänken gemütlich gemacht und berichteten ihrerseits von den Vorbereitungen für die Krönung Maximilians am neunten April in ihrer Stadt.
    Die Gespräche verstummten wie auf Befehl, als sich die Tür öffnete, und ein Mann in roter und schwarzer Kleidung eintrat. Er war groß, schlank, aber breitschultrig und hatte ein scharf geschnittenes Gesicht unter seinen kurzen, schwarzen Haaren. Als er den roten Hocker herbeizog, wandten sich die heimlichen Blicke wieder von ihm ab, und das Stimmengemurmel erhob sich erneut. Nur die beiden Reisenden beteiligten sich nicht mehr an den Gesprächen, sondern verfolgten mit neugierigen Blicken das ungewöhnliche Verhalten des Neuangekommenen.
    Horsel selbst trat auf ihn zu und begrüßte ihn mit ungewohnter Achtung, die Mägde hingegen mieden ihn und schienen sogar einen möglichst großen Bogen um seinen Sitzplatz zu machen. Er gab seine Bestellung auf, und die Wirtin nahm einen besonderen Krug vom Bord und füllte ihn mit Bier. Sie selbst war es auch, die ihm den Teller Suppe und das Brot an den Tisch brachte. Er verzehrte es schweigend und ohne mit den anderen Gästen auch nur ein Wort zu wechseln.
    Wieder flog die Tür auf, und zwei junge Dirnen traten ein. Wie es der Stadtrat vorschrieb, trugen sie rote Schleier über ihren Köpfen, jedoch nicht so, dass die Haare verdeckt wurden. Ihre Kleider waren von verschlissener Buntheit, aber bedeckten züchtig ihre Reize. Sie waren nicht auf Kundenfang aus. Zielstrebig näherten sie sich dem Mann auf dem roten Hocker und legten ihm jeweils vier Schillinge auf den Tisch. Er nickte zustimmend und redete einen Moment mit ihnen, wobei die Dirnen in übermütiges Kichern ausbrachen, er aber ernst blieb. Aus seiner Gürteltasche holte er zwei kleine Tonsiegel und reichte sie den Frauen. Sie machten noch eine Bemerkung, unzweifelhaft unanständiger Art, der Mann grinste und scheuchte sie dann mit einer Handbewegung von seinem Tisch.
    Die beiden Reisenden stießen sich mit den Ellenbogen an. Sie hatten sich schon gefragt, auf welche Weise wohl die städtischen Lustbarkeiten der Nacht organisiert wurden, und hier war der richtige Mann, ihnen weiterzuhelfen. Sie standen auf und näherten sich dem alleine sitzenden Gast, um ihn anzusprechen. Als der eine seine Hand hob, um sie ihm freundschaftlich auf die Schulter zu legen, schloss sich plötzlich die derbe Faust der Wirtin um sein Handgelenk.
    »Rührt ihn besser nicht an, meine Herren. Das ist unser Meister Fix.«
    Entsetzt zuckte der Gast zurück, während der Mann am Tisch ungerührt seinen Krug lehrte. Er war diese Art von Behandlung gewöhnt.
    Er war unrein.
    Er war der Henker.
     
    »Zu dieser Situation in der Kneipe gibt es aber kein Bild in diesem Stundenbuch!«, sagte Cilly, die eifrig auf der Tastatur meines Laptops geklappert hatte, um den Text mitzuschreiben, den Rose, halb verträumt und langsam wiedergegeben hatte.
    »Nein, das ist nirgendwo abgebildet. Eine Hinrichtung gibt es zwar, und auch eine Schenkenszene, die aber ohne Henker. Sieh mal hier.«
    Ich legte Cilly das Bild aus dem Vesper-Kapitel vor. Hier wurde geschäftiges Treiben in einer Gaststube dargestellt, in dessen Mittelpunkt eine füllige Frau stand, die Gecken und Landsknechten, farbenprächtig gekleideten Dirnen und

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