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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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dem Dionysia lag, das erste Mal die Schenke,die Horsel betrieb. Zwar hatte sie ihr Leben lang im Haus gegenüber gewohnt, doch es war ihr streng untersagt worden, diese Stätte zu betreten. Jetzt nahm sie nicht viel mehr wahr, als den schalen, abgestandenen Geruch von Bier und verschüttetem Wein, kalter Asche im Kamin und leicht ranzigem Fett.
    »Hab nur hier hinten die Kammer. Nach oben kriegen wir sie nicht!«, murmelte Horsel und öffnete widerstrebend die Tür.
    Es war ein ebenerdiger, kleiner Raum, der nicht viel mehr als ein breites Bett enthielt, ein Nachtgeschirr, eine angeschlagene Schüssel und einen Wasserkrug. Annas Blick fiel auf die fleckigen Laken, die Horsel mit einem schnellen Griff von dem Bett zog. Eine trübe Ahnung, zu welchen Zwecken diese Kammer wohl benutzt wurde, streifte sie. Die Tatsache, ihre mütterliche Freundin hier unterbringen zu müssen, verursachte ihr Übelkeit. Aber dann lag ein frisches Laken auf dem durchgelegenen Polster, und vorsichtig betteten sie die alte Kanonisse darauf.
    Anna löste ihr das Gebände und die Schnürungen des Gewandes. Noch immer rasselte der Atem, ihre Lippen und Fingernägel hatten sich blau verfärbt, und kein Zeichen von Aufwachen war zu erkennen. Auch nicht, als sie ihr die Stirn mit kühlem Wasser netzte.
    »Wird wohl der Schlag getroffen haben«, murmelte Horsel leise. »Können versuchen, ihr eine Tinktur einzuflößen, die das Herz anregt und die Schmerzen nimmt. Ich hab so etwas hier.«
    Ganz leise fragte Anna: »Sollten wir nicht besser einen Arzt holen?«
    Und genauso leise antwortete Horsel, die Schenkenwirtin: »Anna, sie wird’s nicht mehr lange machen. Bleib bei ihr sitzen. Mehr kann man nicht tun.«
    So war es dann auch. Nach der Sext war der Priester der benachbarten Pfarrkirche Maria Ablass gekommen und hatte Mutter Dionysia die letzte Ölung gespendet, und als der Nachmittag in den frühen Abend überging, die Hitze allmählich nachließ und sich dunkle Wolken über der Stadt zusammenballten, da erwachte die alte Schreibmeisterin noch einmal mit flatternden Lidern. Anna nahm ihre Hand in die ihre. Dionysias Lippen bewegten sich mühsam, und die Jüngere neigte sich vor, um die gehauchten Worte zu verstehen, die die Sterbende von sich gab.
    »Mein Werk ist vollbracht.«
    »Ja, Mutter Dionysia, Euer Werk ist vollbracht, und es gereicht Euch zu großer Ehre.«
    »Zur Ehre Gottes, Kind, nicht zu meiner.«
    »So wird er Euch dafür einen Platz im Himmel einräumen.«
    »Ich hoffe. Ich habe mich bemüht...«
    »Ihr seid eine herzensgute Frau, Mutter Dionysia. Ich danke Euch von Herzen für all die Güte, die Ihr mir erwiesen habt.«
    »Du bist nicht die, die du vorgibst zu sein, Anna di Nezza, stimmt es?«
    »Nein, Mutter Dionysia. Ich bin Anna Dennes, die uneheliche Tochter einer Buhle und bin hier aufgewachsen.«
    »Ja, ich dachte es mir von Beginn an.«
    »Und dennoch habt Ihr mich unter Eure Fittiche genommen, dafür stehe ich in tiefer Schuld bei Euch.«
    Dionysias Augen waren zum Fenster gewandt, und sie schien in die dunkel dräuende Ferne zu schauen.
    »Die Fittiche, Kind, breitet der Rabe über dich«, sagte sie plötzlich mit unerwartet lauter Stimme. »Doch hüte dich vor der Sünde, die Lots Töchter begingen!«
    Anna streichelte beruhigend die trockene, vom Alter verkrümmte Hand.
    »Ja, Mutter Dionysia. Ich will mich bemühen, ein gutes Leben zu führen, und die Kunst, die Ihr mich gelehrt habt, wird mir dabei helfen.«
    »Der Herr behüte dich. Ich gehe heim, Kind, doch – nicht alles endet mit dem Tod.«
    Mit einem letzten Seufzer verschied die alte Stiftsdame.
    Und Anna weinte.

14. Kapitel
 
 Vergebliche Suche
    »Was haben Lots Töchter verkehrt gemacht?«, fragte Cilly neugierig.
    »Keine Ahnung, lies Moses. Ich glaube, bei dem steht etwas darüber. Das ist doch die Geschichte mit der Salzsäule.«
    »Ich lese ständig in der Bibel, aber den alten Moses finde ich echt ätzend. Der zeugt den und der zeugt den Nächsten, und alle haben sie total unmögliche Namen. Aber weißt du was, mir ist gestern das Gedicht wieder eingefallen, Anita. Kennst du das?«
    Cilly setzte sich grade hin und deklamierte:
    »Sie ritten durch den grünen Wald
    Bei Vogelsang und Sonnenschein,
    Und wenn sie leicht am Zügel zog,
    So klangen hell die Glöckelein.«
    »Cilly? So gebildet?«
    »Fontane, Thomas der Reimer. Ich musste es vor zwei Jahren oder so auswendig lernen. Aber sie ritt ein weißes Ross und keinen braunen Zelter.«
    »Es war ja

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