Der bewaffnete Freund
nach Süden. Wir kommen zügig voran, es ist wenig Verkehr unterwegs, auf zweihundert Kilometern begegnet uns kein einziges Polizeifahrzeug. In den Radionachrichten ist zwar auch an diesem Morgen vom Kampf gegen den Terrorismus die Rede, aber gemeint damit sind andere, Religionskrieger, Leute aus einem seltsamen, mir unbegreiflichen Gedankenuniversum, einer bizarren antagonistischen Ordnung der Welt.
Erst als wir das Mittelmeer erreichen, fällt mir auf, dass wir auf der gleichen Straße unterwegs sind, die ich im August mit Rabbee nach Nordosten gefahren bin: die Küstenautobahn, die an Marbella vorbeiführt. Nach zwei Stunden Fahrt, wir lassen den Felsen von Gibraltar links liegen, mündet sie bei Algeciras in eine Landstraße. Vor uns liegt jetzt die Meerenge, das marokkanische Rif-Gebirge auf der anderen Seite im Dunst, mit jedem Kilometer, den wir nach Westen zurücklegen, wird es grüner, Wind vom Atlantik. Wir sind fast am südlichsten Punkt der Halbinsel und damit am südlichsten Punkt Festlandeuropas angelangt, als mir Zubieta endlich unser Reiseziel verrät. Es ist ausgerechnet Tarifa.
»Ein Surferparadies«, merke ich an.
Gegen halb eins kommen wir in der Stadt an. Der Freund fragt, ob wir zum Abschied etwas essen gehen wollen, und obwohl sich an unserer Situation nichts geändert hat, sein Gesicht nach wie vor erkannt werden kann, wir in dieser Hinsicht unser Leben oder zumindest die Freiheit riskieren, sage ich ja. Wir schlendern die Altstadt hinunter, die immer noch hergerichtet aussieht, immer noch wie ein musealer Erlebnispark, immer noch auf kiffende, englischsprachige Rucksacktouristen ausgerichtet, aber diesmal etwas Beruhigendes ausstrahlt, und setzen uns in eines der wenigen noch geöffneten Restaurants, in dem Salat, Fisch, Weißwein und Flan auf der Menükarte stehen. Wir stoßen auf die geglückte Reise an, verschwenden keinen Gedanken daran, dass die Gefahr jetzt, im Augenblick der Entspannung, besonders groß sein könnte, dass es wahrscheinlich keinen Moment in den letzten Wochen gab, der so riskant war wie dieser. Als wir bezahlt haben und aufstehen, spüre ich den Alkohol, ein gedämpftes, leicht euphorisches Gefühl.
Wir holen Zubietas Tasche aus dem Wagen und kreuzen scheinbar ziellos durch die Stadt. Ich frage mich, wo der Freund hin will, ob er hier wohl abgeholt und von einem anderen Wagen nach Portugal gebracht werden soll, wo man unter den vielen Touristen leicht verschwinden kann, aber schließlich wird deutlich, dass der Freund den Hafen ansteuert, der direkt an den Eingang zur Meerenge, an die alte Festung und den Strand angrenzt, an dem ich vor zwei Monaten mit Rabbee im Sand lag. Es ist kühl in der Atlantikbrise, doch immer noch sind Surfer im Wasser zugange, in ihren Neropren-Anzügen trotzen sie Kälte und Wellen.
Am Rande des Hafenbeckens bleiben wir stehen. Zubieta deutet auf ein Segelboot, eine der zahllosen Yachten, die am Kai liegen, allerdings eines der bescheideneren Modelle, hochseetauglich, aber nicht protzig. Am Heck flattert eine südafrikanische Fahne.
Auf dem Deck, das ganz weiß ist und in der Sonne leuchtet, stehen ein Mann, ein Afrikaner, und ein Mädchen, vielleicht neun Jahre alt. Zubieta fragt, ob ich mit an Bord kommen möchte. Ich schüttele den Kopf, ich weiß, dass das der richtige Zeitpunkt ist, um Abschied zu nehmen.
»Und wohin jetzt?«, frage ich.
»Auf die andere Seite.«
»Du bist wahrscheinlich der einzige, der illegal in dieser Richtung unterwegs ist.«
»Du unterschätzt die kriminelle Energie dieser Region.«
Ich mustere das Mädchen auf dem Schiff, sie hat schwarze Haare, wie Zubieta normalerweise auch.
»Was willst du auf der anderen Seite? Das ist ein Rückzug aufs Altenteil, oder?«
»Gewinnen.« Er grinst. »Weitermachen, bis wir gewinnen.«
Und plötzlich bin ich sehr traurig. »Tut mir leid. Wegen der Sachen, die ich gesagt habe …«
Die südafrikanische Fahne schlägt klackernd gegen den Mast.
»Danke für die Fahrt.«
»… und was heißt gewinnen?«
»Recht bekommen …?«
Ich bin mir nicht sicher, was er damit meint, ob er selbst genau weiß, was er meint, aber hake auch nicht weiter nach. Der Freund nimmt mich in den Arm, dann geht er langsam zum Boot. Es ist seltsam, denke ich, er verschwindet wie Corto Maltes, der Vagabund, dessen Spuren sich auf dem Meer verlieren. Doch als Zubieta das Segelschiff erreicht, kommt es anders. Das Mädchen läuft ihm entgegen, er hebt sie hoch, hält sie umklammert, küsst sie
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