Der blaue Mond
dass mir das Ganze peinlich ist, wäre noch untertrieben.
Während Miles die Salbe einsteckt und auf die Tür zugeht, muss ich ihn noch etwas fragen. »Dann ist es dir also aufgefallen?« Die Worte fühlen sich in meiner Kehle heiß und klebrig an.
»Was soll mir aufgefallen sein?« Er bleibt stehen, unübersehbar genervt.
»Das, ähm, Fehlen der ewigen Knutscherei?«
Miles dreht sich um und rollt theatralisch mit den Augen, ehe er mich unverwandt ansieht. »Ja, das ist mir aufgefallen. Ich dachte, ihr beiden nehmt meine Drohung eben ernst.«
Ich sehe ihn an.
»Heute Morgen - als ich gesagt habe, Haven und ich würden streiken, bis ihr beiden mit eurer ewigen ...«Er schüttelt den Kopf. »Egal. Darf ich jetzt bitte in mein Klassenzimmer gehen?«
»Tut mir leid.« Ich nicke. »Entschuldige bitte den ganzen ...«
Doch noch ehe ich ausreden kann, ist er weg, und die Tür hat sich fest zwischen uns geschlossen.
SECHS
Als ich in der sechsten Stunde zum Kunstunterricht komme, stelle ich erleichtert fest, dass Damen bereits da ist. Da uns Mr. Robins in Englisch so beschäftigt hat und wir beim Lunch kaum gesprochen haben, freue ich mich auf ein bisschen Zeit mit ihm allein - oder wenigstens so allein, wie man in einem Klassenzimmer mit dreißig anderen Schülern eben sein kann.
Doch nachdem ich meinen Kittel übergezogen und meine Sachen aus dem Schrank geholt habe, muss ich beklommen feststellen, dass Roman auch hier meinen Platz eingenommen hat.
»Oh, hey, Ever.« Er nickt, stellt seine unberührte Leinwand auf meine Staffelei, während ich direkt daneben stehe, meine Sachen fester in die Arme nehme und Damen anstarre, der so in sein Bild vertieft ist, dass er mich überhaupt nicht wahrnimmt.
Gerade als ich Roman sagen will, er soll sich verziehen, muss ich an Havens Worte denken, dass ich angeblich neue Leute hasse. Da ich Angst habe, sie könnte Recht behalten, ringe ich mir ein Lächeln ab und stelle meine Leinwand auf die Staffelei auf Damens anderer Seite, während ich mir vornehme, morgen viel früher zu kommen, um meinen Platz wieder in Besitz zu nehmen.
»Klär mich auf. Worum geht's denn hier, Kollege?«, fragt Roman mit britischem Akzent, ehe er sich einen Pinsel zwischen die Zähne schiebt und zwischen Damen und mir hin und her schaut.
Normalerweise finde ich britische Akzente richtig süß, aber bei diesem Typen nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass es total unecht rüberkommt. Ich meine, es ist so offensichtlich, dass er den Akzent nur benutzt, wenn er besonders cool wirken will.
Doch bei diesem Gedanken bekomme ich schon wieder ein schlechtes Gewissen. Jeder weiß doch, dass es lediglich ein Zeichen für Unsicherheit ist, wenn jemand sich allzu sehr darum bemüht, cool zu wirken. Und wer wäre an seinem ersten Tag auf dieser Schule nicht ein bisschen verunsichert?
»Wir studieren die Ismen«, sage ich, entschlossen, nett zu sein, trotz des quälenden Stechens in meinem Bauch. »Letzten Monat durften wir uns selbst einen aussuchen, doch diesen Monat machen wir alle Fotorealismus, weil den letztes Mal niemand genommen hat.«
Roman sieht mich von oben bis zu meinen goldenen Havaiana-Flip-Flops an - eine langsame, genüssliche Reise über meinen Körper, bei dem mein Magen Purzelbäume schlägt, aber nicht auf angenehme Art.
»Aha. Dann muss es also echt aussehen, wie ein Foto«, sagt er, ohne den Blick von mir zu wenden.
Ich erwidere seinen Blick, einen Blick, den er mehrere Sekunden zu lang aufrechterhält. Doch ich weigere mich, zu blinzeln oder als Erste wegzuschauen. Ich bin entschlossen mitzuspielen, so lange es sein muss. Und obwohl an der Oberfläche alles total harmlos aussehen mag, wirkt etwas daran dunkel, bedrohlich, wie eine Art Kampfansage.
Vielleicht aber auch nicht.
Denn gleich nachdem ich das gedacht habe, spricht er weiter. »Diese amerikanischen Schulen sind echt erstaunlich! Zu Hause im nassen alten London«, er zwinkert, »stand immer die Theorie über der Praxis.«
Und sofort schäme ich mich all meiner abwertenden Gedanken. Denn offenbar kommt er nicht nur tatsächlich aus London, was heißt, dass sein Akzent echt ist, sondern Damen, dessen übersinnliche Kräfte wesentlich ausgefeilter sind als meine, scheint nicht im Mindesten beunruhigt zu sein.
Ja, er scheint Roman sogar zu mögen. Was noch schlimmer für mich ist, da es mehr oder weniger beweist, dass Haven Recht hat.
Ich bin wirklich eifersüchtig.
Und besitzergreifend.
Und paranoid.
Und offenbar
Weitere Kostenlose Bücher