Der blaue Mond
völlig im Dunkeln tappe. Gib mir doch mal einen Anhaltspunkt. Wo haben wir gelebt? Wie habe ich ausgesehen? Wie haben wir uns kennen gelernt? War es Liebe auf den ersten Blick?«
Er weicht kaum merklich zurück, dreht sich auf die Seite und vergräbt eine Hand in meinem Haar, ehe er zu sprechen beginnt. »Es war in Frankreich, 1608.«
Ich schnappe nach Luft, während ich begierig lausche.
»In Paris, genauer gesagt.«
Paris! Augenblicklich sehe ich aufwändige Roben vor mir, heimliche Küsse auf dem Pont Neuf, Klatsch mit Marie Antoinette ...
»Ich war bei einem Freund zum Essen eingeladen ...« Er hält inne, blickt an mir vorbei und ist bereits Jahrhunderte weit weg. »Und du warst dort Dienerin.«
Dienerin?
»Eine ihrer Dienerinnen. Sie waren sehr reich. Sie hatten viele Bedienstete.«
Sprachlos liege ich da. Das hatte ich nicht erwartet.
»Du warst nicht wie die anderen«, sagt er mit fast zum Flüsterton gedämpfter Stimme. »Du warst schön. Außergewöhnlich schön. Du hast ziemlich genauso ausgesehen wie jetzt.« Er lächelt, greift nach einer meiner Haarsträhnen und reibt sie zwischen den Fingern. »Und genau wie jetzt warst du Waise, du hattest deine Familie in einem Feuer verloren. Du warst völlig mittellos und hattest niemanden, der dich unterstützt hätte, und so haben meine Freunde dir Arbeit gegeben.«
Ich schlucke schwer und weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich meine, was hat eine Reinkarnation schon für einen Sinn, wenn man gezwungen ist, die gleichen schmerzlichen Momente wieder und wieder zu erleben?
»Und ja, nur damit du es weißt, es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe mich mit Haut und Haar und für alle Zeiten in dich verliebt. Im ersten Moment, als ich dich sah, wusste ich, dass mein Leben nie wieder so sein würde wie zuvor.«
Er sieht mich an, die Finger an meinen Schläfen, während sein Blick mich hineinzieht, mir den Moment in all seiner Intensität präsentiert und die Szene ablaufen lässt, als wäre ich mittendrin.
Mein blondes Haar ist unter einer Haube versteckt, meine blauen Augen sind scheu und vermeiden ängstlich jeden Blickkontakt, meine Kleider sind schäbig und meine Finger so rau, dass meine Schönheit verdeckt und leicht zu übersehen ist.
Doch Damen erkennt sie. Sowie ich den Raum betrete, findet sein Blick den meinen. Er blickt durch mein tristes Äußeres hindurch bis zu der Seele, die sich nicht verbergen lässt. Und er ist so dunkel, so markant, so fein, so gut aussehend, dass ich mich abwende. Ich weiß, dass allein die Knöpfe an seiner Jacke mehr wert sind, als ich in einem Jahr verdienen werde. Ich weiß, ohne ein zweites Mal hinzusehen, dass er außerhalb meiner Reichweite ist...
»Trotzdem musste ich vorsichtig sein, weil...«
»Weil du bereits mit Drina verheiratet warst!«, flüstere ich, während ich die Szene in meinem Kopf verfolge und einen der Tischgäste nach ihr fragen höre. Unsere Blicke streifen sich rasch, als Damen ihm antwortet.
»Drina ist in Ungarn. Wir gehen mittlerweile getrennte Wege.« Er weiß, dass er damit einen Skandal auslöst, aber ihm ist wichtiger, dass ich es höre, als was die anderen denken ...
»Sie und ich haben bereits getrennt gelebt, also war das kein Problem. Allerdings musste ich vorsichtig sein, denn Verbindungen außerhalb der eigenen Gesellschaftsschicht waren damals streng verpönt. Und weil du so unschuldig und in so vieler Hinsicht so verletzlich warst, wollte ich dir keinen Ärger verursachen, vor allem falls du nicht genauso empfändest.«
»Aber ich habe genauso empfunden!«, sage ich und sehe vor mir, wie es nach diesem Abend mit uns weitergeht und ich ihm jedes Mal begegne, wenn ich in der Stadt bin.
»Mir blieb nichts anderes übrig, als dir nachzustellen.« Er sieht mich mit kummervoller Miene an. »Bis wir einander schließlich so oft über den Weg gelaufen waren, dass du Vertrauen zu mir gefasst hast. Und dann ...«
Und dann treffen wir uns heimlich — verstohlene Küsse vor dem Dienstboteneingang, eine leidenschaftliche Umarmung in einer dunklen Gasse oder in seiner Kutsche ...
»Erst jetzt weiß ich, dass ich nicht annähernd so diskret war, wie ich dachte.« Er seufzt. »Drina war überhaupt nie in Ungarn, sie war die ganze Zeit da. Sie hat beobachtet und geplant, entschlossen, mich zurückzugewinnen - koste es, was es wolle.« Er holt tief Luft, und der Kummer aus vier Jahrhunderten zeichnet sich auf seiner Miene ab. »Ich wollte mich um dich kümmern, Ever. Ich
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