Der blaue Mond
erleichtert ausatme, sieht sie sich um und sagt noch etwas. »Tja, Freitag geht dann natürlich nicht, aber damit bleibt immer noch der Samstag. Würdest du Damen bitten, um acht Uhr hier zu sein?«
DREI
Obwohl ich verschlafen habe, schaffe ich es noch rechtzeitig zu Miles. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich nicht einmal mehr annähernd so lange brauche, um mich fertig zu machen, seit Riley nicht mehr da ist und mich ablenkt. Und obwohl es mich immer genervt hat, wie sie in einem ihrer verrückten Halloween-Kostüme auf meiner Kommode saß, mich nach Jungen ausgequetscht und sich über meine Klamotten lustig gemacht hat, kann ich sie leider nicht mehr sehen, seit ich sie dazu gebracht habe, weiterzuziehen und die Brücke dorthin zu überqueren, wo unsere Eltern und unser Hund Buttercup warteten.
Das heißt mehr oder weniger, dass sie Recht hatte. Ich kann nur die Seelen sehen, die dageblieben sind, nicht diejenigen, die weitergezogen sind.
Und wie immer, wenn ich an Riley denke, schnürt es mir die Kehle zu, und meine Augen fangen an zu brennen, und ich frage mich, ob ich mich je daran gewöhnen werde, dass sie weg ist. Ich meine, endgültig und unwiederbringlich weg. Aber eigentlich müsste ich inzwischen genug über Verluste wissen, um zu begreifen, dass man nie wirklich aufhört, jemanden zu vermissen - man lernt lediglich, mit dem riesigen, klaffenden Loch seiner Abwesenheit zu leben.
Ich wische mir die Augen und biege in Miles' Einfahrt ein. Dabei denke ich an Rileys Versprechen, mir ein Zeichen zu schicken, irgendetwas, das mir zeigt, dass es ihr gut geht. Doch obwohl ich mich strikt an ihr Versprechen gehalten habe, wachsam geblieben bin und aufmerksam nach Hinweisen auf ihre Anwesenheit gesucht habe, habe ich bis jetzt kein Zeichen bekommen.
Miles öffnet die Tür, hält sofort die Hand in die Höhe und sagt: »Nicht sprechen. Schau dir einfach mein Gesicht an, und sag mir, was du siehst. Was ist das Allererste, das dir auffällt? Und nicht lügen.«
»Deine schönen braunen Augen«, antworte ich, während ich die Gedanken in seinem Kopf höre und mir nicht zum ersten Mal wünsche, ich könnte allen meinen Freunden zeigen, wie sie ihre Gedanken abschirmen und all ihre Privatangelegenheiten für sich behalten können. Doch damit würde ich verraten, dass ich Gedanken lesen und Augen sehen kann und übersinnliche Fähigkeiten habe, und das geht nicht.
Miles schüttelt den Kopf, steigt ein und klappt sofort die Sonnenblende herunter, um in den Spiegel zu schauen und sein Kinn zu inspizieren. »Du lügst. Schau, hier ist es! Wie ein rotes Blinklicht, das man gar nicht übersehen kann, also tu bloß nicht so, als würde es dir nicht auffallen.«
Ich schaue ihn an, während ich rückwärts aus der Einfahrt fahre, und sehe den Pickel, der es gewagt hat, auf seinem Gesicht zu wachsen. Allerdings sticht mir sein leuchtend pinkfarbener Nagellack viel mehr ins Auge. »Schicke Nägel«, sage ich lachend.
»Das ist für das Stück«. Er grinst und mustert immer noch seinen Pickel. »Ich glaub's nicht! Irgendwie hab ich das Gefühl, ich krieg gleich die Krise, dabei ist alles total super gelaufen. Die Proben waren phänomenal. Ich kann meinen ganzen Text und den aller anderen noch dazu. Ich hab gedacht, ich sei absolut perfekt, und jetzt das!« Er rammt sich selbst den Finger ins Gesicht.
»Das sind nur die Nerven«, entgegne ich.
»Genau!« Er nickt. »Das beweist doch, was für ein Amateur ich bin. Profis, richtige Profis werden nämlich nicht nervös. Die begeben sich einfach in ihre kreative Zone und ... sind kreativ. Vielleicht bin ich doch nicht dafür geschaffen.« Er sieht mich mit sorgenvoller Miene an. »Vielleicht war es nur ein glücklicher Zufall, dass ich die Hauptrolle bekommen habe.«
Ich sehe ihn an und erinnere mich, wie Drina erklärt hat, sie wolle in den Kopf des Regisseurs schlüpfen und ihn für Miles einnehmen. Doch selbst wenn das stimmt, heißt das nicht, dass er es nicht schaffen kann, es heißt nicht, dass er nicht ohnehin der Beste war.
»Das ist doch albern.« Ich schüttele den Kopf. »Unzählige Schauspieler werden nervös, leiden unter Lampenfieber oder sonst was. Du würdest nicht glauben, was für Geschichten Riley immer ...« Ich halte abrupt inne, mit aufgerissenen Augen und offenem Mund, denn ich darf diesen Satz nicht zu Ende sprechen. Nie darf ich die Geschichten meiner kleinen Schwester weitergeben, die so gern der Hollywood-Elite nachspioniert hat.
Weitere Kostenlose Bücher