Der blaue Stern
Trotzdem war er vorsichtig, denn es gab immer wieder Fremde hier, die scharf darauf waren, andere das Fürchten zu lehren, oder denen der Magen so sehr knurrte, daß sie vor nichts zurückschreckten. Obgleich Eindaumen ein durchaus ernstzunehmender Gegner war, sowohl mit als auch ohne seinen Degen, sah er doch lediglich wie ein feister Kaufmann aus, dessen Häßlichkeit sein Geschäft beeinträchtigte.
Aus eigener Erfahrung kannte er das Böse nur zu gut. Deshalb trug er schäbige Kleidung und verriet durch keine Äußerlichkeit seinen Reichtum. Das tat er allerdings weniger, um sich vor Überfällen zu schützen - schließlich wußte er, daß die Armen mindestens genauso oft wie Reiche das Opfer von Hunger oder Habgier wurden -, sondern um seine möglichen Gegner auf jene zu beschränken, die selbst für Kupferstücke töten würden. Glücklicherweise fehlte letzteren gewöhnlich das Geschick dafür.
Als er sich zum Einhorn aufmachte, folgte ihm auf dem Schlangenweg ein Mann, der durch seine betonte Gleichmütigkeit verriet, daß er ein Neuling im Taschendiebgewerbe war. Eindaumen wußte, daß die Gasse voraus düster, ja fast dunkel war und ein paar Schritt einwärts eine Verstecknische hatte. Er ging in diese Gasse, zog seinen Dolch aus dem Stiefelschaft und verbarg sich in der Nische. Das Krrfpäckchen klemmte er zwischen die Füße.
Der Mann folgte ihm tatsächlich in die Gasse. Als seine Schritte in der Dunkelheit zögerten, sprang Eindaumen aus der Nische hinter ihm hervor, drückte ihm eine kräftige Pranke auf Mund und Nase und stieß ihm den schmalklingigen Dolch in den Rücken, dann ließ er ihn auf das Pflaster gleiten. Dem Toten nahm er den Geldgürtel ab und einen Beutel mit Münzen, den er zusätzlich dabei hatte. Er wischte das Blut vom Dolch, schob ihn in den Stiefelschaft zurück, hob den Krrf auf und setzte seinen Weg fort. Frische Blutstropfen leuchteten geradezu auf seinem Kittel, doch niemand in dieser Gegend würde sich daran stoßen. Hin und wieder kamen auch Garnisonssoldaten hier durch, doch sie kümmerten sich nicht um die Bewohner und kritisierten auch ihre seltsamen Gewohnheiten nicht.
Zwei an einem Tag, dachte Eindaumen. Seit dem letztenmal war bereits ein ganzes Jahr vergangen. Es war kein unangenehmes Gefühl, obwohl keiner der beiden dazu gekommen war, sich zur Wehr zu setzen. Der Möchtegerntaschendieb war ein blutiger Anfänger gewesen, und der junge Edle aus Ranke ein vertrauensseliger Narr (den Auftrag zu seiner Ermordung hatte ein Berater seines Vaters gegeben).
Er erreichte die Straße südlich des Eingangs zum Wilden Einhorn und betrat die Schenke durch die Hintertür. Er warf einen Blick auf die Bestandsliste in der Vorratskammer, die ihm verriet, daß das Geschäft heute noch nicht sonderlich gut gewesen war. Den Krrf verstaute er in einem Stahlbehälter, ehe er sich einen Trank mit Zitrone gönnte und sich vor die Scheibe setzte, die in der Schenke ein Spiegel war, und durch die er unbemerkt alles in der Gaststube beobachten konnte.
Eine Stunde lang sah er zu, wie Geld und Getränke den Besitzer wechselten. Der Hilfswirt - er war Koch auf einem Piratenschiff gewesen, ehe er ein Bein verloren hatte - schien mit den Gästen gut auszukommen. Er war auch verhältnismäßig ehrlich, obwohl er den Betrunkeneren nicht sehr gut einschenkte, und wohl kaum aus Besorgnis um ihre Gesundheit. Eindaumen goß sich gerade ein drittes Glas des Zitronengetränks ein, als er Amoli, Herrin des Liliengartens, mit dem Eunuchen und einem weiteren Leibwächter das Einhorn betreten sah. Er ging in die Schankstube, um sie zu begrüßen.
»Wein!« rief er einer Schankmaid zu und führte die drei an einen Tisch, der durch einen Vorhang abgetrennt war.
Amoli war fast schön zu nennen, obgleich sie kaum jünger als Eindaumen war, und trotz eines Berufs, in dem man gewöhnlicherweise schnell altert. Sie kam sofort zur Sache: »Kalem richtete mir aus, daß du zwanzig Grimales Caronne zu verkaufen hast.«
»Beste Qualität und absolut rein.«
»An so viel kommt man selten heran. Darf ich fragen, wo du ihn herhast?«
Eindaumen schüttelte den Kopf. »Das behalte ich lieber für mich.«
»Es ist besser, du sagst es mir. Gestern hatte ich noch ein 20-Grimale-Stück in meiner Sicherheitstruhe im Schlafzimmer. Jetzt ist es verschwunden.«
Eindaumens Gesicht blieb unbewegt. »Ein interessanter Zufall«, sagte er nur.
Sie schnaubte.
Eine Weile saßen sie einander stumm gegenüber, während ein Krug
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