Der Blaumilchkanal
Der Sekretär erblaßte. »Wir verschwinden doch morgen von hier!«
»Ich weiß«, erwiderte der Staatsmann und rieb seine Nasenflügel kurz mit dem Handrücken, »deshalb sagte ich ja, heute abend.«
Diesmal trat der Dorfrat unter sehr bescheidenen Umständen zusammen, die Atmosphäre war jedoch unermeßlich gelöster als bei der letzten Sitzung. Von den Höhen des Podiums herab informierte Dulnikker die Teilnehmer über zwei wichtige Angelegenheiten: daß er gezwungen war, sie infolge der angespannten internationalen Lage am folgenden Tag zu verlassen, und daß sie, die Delegierten, ihm verzeihen müßten, wenn er infolge Zeitmangels und seiner labilen Gesundheit keine Eröffnungsansprache halten könne. Die beiden Punkte >wurden von den Ratsmitgliedern aufmerksam aufgenommen<
- um das Protokoll zu zitieren. Mit anderen Worten, vor Beginn der Sitzung hatte Dulnikker Zev aufmerksam gemacht, daß er das Protokoll so führen solle, als schriebe er das Protokoll der Knesset, und falls er das nicht täte, würde er -Dulnikker - sich nichts dabei denken, >die drastischen Disziplinarmaßnahmen< durch Parteikanäle zu treffen, sobald sie heimkämen. Möge also das Protokoll den Trend der Diskussion spiegeln, wie es von dem Krankenwärter persönlich niedergeschrieben wurde:
V orsitzender : Da wir nunmehr die Machtbefugnis des Bürgermeisters definiert und die Art und Weise umrissen haben, in der er gewählt werden soll, können wir zur Klärung der Einzelheiten fortschreiten. Irgendwelche Fragen?
O fer K isch , M itglied des P rovisorischen R ats : Ich wollte schon lange fragen - wozu brauchen wir einen Bürgermeister?
V orsitzender : Was meint ihr damit, Genossen?
O fer K isch , M itglied des P rovisorischen R ats : Nur das. Warum einen Bürgermeister? Was gibt’s für ihn zu tun? (Schweigen)
S ekretär : Entschuldigung, meine Herren. Sie werden doch sicherlich jemanden brauchen, der sich darum kümmert, das Gehalt des Bürgermeisters einzusammeln, stimmt’s?
V orsitzender : Du glaubst, daß du witzig bist, mein Freund, aber du hast eine interessante Frage aufgeworfen. Eine der Pflichten des Bürgermeisters wird es sein, die Einhebung von Steuern zu planen und zu überwachen. Denn die gegenwärtige Laxheit auf diesem Gebiet kann nämlich nicht so weitergehen! Jeder Bürger des Dorfes muß nach Maßgabe seiner Mittel zum Budget beitragen. (Schweigen) Irgendwelche Fragen?
O fer K isch , M itglied des P rovisorischen R ats : Wozu brauchen wir ein Budget?
V orsitzender : Stellen Sie nicht so viele Fragen, ja? (Hammerschlag) Ich bitte um Ruhe. (Ruhe) Oj, oj, liebe Genossen! Habt ihr noch nie gehört, wie ein bestimmtes Dorf etwas aus seinem Budget erbaut hat?
E lifas H ermanowitsch , M itglied des P rovisorischen RATS: Welches Dorf?
V orsitzender : Wir sprechen natürlich von Kimmelquell!
E lifas H ermanowitsch , M itglied des P rovisorischen RATS: Wie kann Kimmelquell etwas bauen: Menschen bauen Häuser, aber Kimmelquell? Das ist doch nur ein Name!
S ekretär : Ein Kommunalname!
V orsitzender : (Hammerschlag) Ich bitte, nicht zu
unterbrechen, meine Herren!
S ekretär : Ja, Euer Ehren.
J a ’ akov S faradi , M itglied des P rovisorischen R ats : Ich verstehe schon, was der Herr Ingenieur meint. Ich glaube auch, es ist an der Zeit, daß wir in Kimmelquell aus den Beiträgen der Bürger eine Synagoge bauen.
S alman H assidoff , B ürgermeister de facto , M itglied des P rovisorischen R ats : Völlig überflüssig. Du kannst weiter in meinem Barbierladen beten.
E lifas H ermanowitsch , M itglied des P rovisorischen R ats : Einen zweiten Fanatiker findest du hier ohnehin nicht.
J a ’ akov S faradi , M itglied des P rovisorischen R ats : Atheist!
V orsitzender : (Hammerschlag) Ratsmitglied
Hermanowitsch! Ich bitte Sie, sich eines höflicheren Tones zu befleißigen.
F rau H assidoff , K rankenschwester des S alman H assidoff , B ürgermeister de facto , M itglied des P rovisorischen R ats : Ich schlage vor, daß wir ein Büro für den Bürgermeister bauen. Salman findet es sehr schwierig, sich in unserem winzigen Barbierladen um Dorfangelegenheiten zu kümmern.
Z emach G urewitsch , M itglied des P rovisorischen R ats : (brüllend) Ich sage euch, wir werden mit dem Budget einen Brunnen bauen!
V orsitzender : Nu, endlich rührt sich was, ä bissel Leben!
Diese Bemerkung wurde später auf Befehl des Vorsitzenden
aus dem Protokoll gestrichen.
S alman H assidoff , B ürgermeister de
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