Sonst kommt dich der Jäger holen
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Grün aufgedunsen, die Leiche. Ein monströses Etwas mit einem Stich ins Gräulich-Schwärzliche. So was schaut sich keiner freiwillig an. Aber der Herr Kriminalhauptkommissar war ein Spezialfall. Leider. Und ich mittlerweile auch – weil ich nicht von ihm loskam, und deshalb passierte immer wieder das Gleiche. Nur die Tatorte wechselten. Mal war es der Küchentisch, dann der Fahrstuhl, selten das Bett, zweimal der Starnberger See. Auch im Wasser.
Und jetzt stand ich in seiner Wohnung und starrte auf den Küchentisch mit den Leichenfotos. Bestimmt war es verboten, so was von der Dienststelle mit nach Hause zu nehmen. So verboten, wie es war, sich den Ersatzschlüssel eines Polizeibeamten aus dessen Kellerabteil zu holen. Aber ich hatte keine Wahl, Herr Kommissar! Wer hatte mir denn ein paar Stunden zuvor die Klamotten dermaßen heftig vom Leib gerissen, dass mein Handy aus der Tasche geglitten war, weshalb ich es jetzt in der Wohnung suchen musste!?
Ich schob das Foto mit der grünen Leiche zurück in das Notizbuch auf dem Küchentisch, in das ich rein zufällig bei meiner Suche nach dem Handy einen Blick geworfen hatte. Sie erinnerte mich an die aufgeblähten Leiber nach der Tsunamikatastrophe an den Traumstränden Thailands. Damals hatte ich ungerechterweise vermutet, das wären alles dicke Wohlstandstouristen. Doch es war das Leichengas, das sie aufgetrieben hatte wie gestrandete Wale. Ab einem bestimmten Grad an Aufblähung besteht die Gefahr, dass Leichen platzen. Deshalb sollte man sie vor der Bergung punktieren, damit die Gase entweichen. Kennst du einen Kommissar, kennst du dich aus.
Flipper, mein großer schwarzer Riese, hielt neben der Wohnungstür Wache. Unglücklich sah er aus. Ich brauchte keinen Spiegel, an meinem Hund konnte ich stets ablesen, wie es mir ging. Flipper war anfangs strikt gegen die Erweiterung unseres Rudels gewesen. Vor einem Vierteljahr, im Frühsommer, hatten wir Felix Tixel kennengelernt. Flipper hatte eine Leiche aufgespürt und Felix die folgenden Ermittlungen geleitet, die mich in Lebensgefahr gebracht hatten.
Flipper fand, wir sollten abhauen. Wie meistens hatte er recht. Aber die Chefin in unserem Rudel war nun mal ich. Erneut griff ich nach dem Heft im Brusttaschenformat, in das der Kommissar seine Gedanken und Ideen zu notieren pflegte. Wer Beweismaterial offen liegen lässt, wünscht sich, dass es entdeckt wird.
Beate Maierhöfen hatte die grüne Leiche geheißen, als sie noch geatmet hatte. Im Verwesungsprozess verliert der Mensch sein Geschlecht, auch das hatte ich vom Kommissar gelernt. Oft ist es nicht erkennbar, ob eine Leiche männlich oder weiblich ist. Der Fall Maierhöfen war mittlerweile aufgeklärt, wie ich den Notizen entnahm. Abgehakt wie der Fall Franza. Deshalb hatte ich mir auch lieber den Ersatzschlüssel aus dem Keller geholt, statt ihn anzurufen und ein Treffen zu vereinbaren, das dann doch wieder nur auf dem Küchentisch geendet, aber nichts geändert hätte an unserer Situation. Wir passten perfekt zusammen. Wir durften bloß nicht reden. Dabei hatte es zuerst ganz anders ausgesehen: Felix Tixel hatte mich im Sommer ins Undosa am Starnberger See zum Essen eingeladen. Da war es zum ersten Mal passiert. An der Uferpromenade auf dem Weg zum Auto. Ich hatte so was bislang nur im Kino gesehen. Dass man außer sich gerät vor Leidenschaft. Danach zitterten mir die Knie. Irgendwie schämte ich mich. Und irgendwie war ich auch stolz. Dann gingen wir schwimmen, und meine Haut war so heiß, dass es beim Eintauchen zischte.
Auf der Heimfahrt sprachen wir kein einziges Wort. Vielleicht war er genauso durcheinander wie ich, vielleicht war das alles für ihn normal. Woher sollte ich wissen, was für einen Mann normal ist, der berufsbedingt in menschlichen Abgründen herumstochert.
Am Morgen nach dem Vorfall am und im See schickte ich Felix eine SMS : Es war ganz erquickend, aber es hat nichts zu bedeuten, F. Er sollte sich nicht verpflichtet fühlen, bloß weil er mir das Leben gerettet hatte.
In dem Augenblick, als ich auf Senden drückte, erhielt ich seine SMS : Franza, das war unvergesslich, doch du bist die richtige Frau zum falschen Zeitpunkt, F.
Schön, dass wir uns einig waren. Trotzdem mussten wir uns in den darauffolgenden zwei Monaten geradezu zwanghaft noch einige Male bestätigen, dass wir recht hatten. Es endete fast jedes Mal wie beim ersten Mal. Daraufhin riet mir meine Freundin Andrea, sie ist Psychologin, ihn bei sich zu Hause zu treffen,
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