Der Blaumilchkanal
letzten, von Handlung erfüllten Tagen bei den Dorfleuten behaglich zu fühlen begonnen. Außerdem quälte ihn ein Problem sehr: Wie konnte eine so dumme Kreatur wie eine Taube von so weit her die richtige Adresse finden?
Zev andererseits war eitel Glück und Sonnenschein.
»Juchhe!« heulte der Sekretär vor Freude. »Schön, ich gehe sofort heim, packen!«
»Höre, mein Freund!« sagte Dulnikker verärgert. »Wie oft mußt du noch packen? Wo brennt’s?«
»Entschuldigen Sie, Dulnikker«, sagte der Sekretär verwundert, »Sie selbst haben mich dazu angespornt, die Taube abzuschicken, damit wir so schnell wie möglich aus diesem stinkenden Loch entfliehen können!«
»Ich habe dich angespornt?« Der Staatsmann kochte vor Wut. »Ich habe diesen Ort ein >stinkendes Loch< genannt? Zev, mein Freund, ich bin Gott sei Dank mit einem bemerkenswerten Gedächtnis gesegnet! Du warst es, der mich dazu überredete, meinen angenehmen Aufenthalt in diesem stillen, friedlichen Dorf abzubrechen. Ich habe nur einen einzigen Fehler gemacht: auf dich zu hören .«
»Lieber Herr Ingenieur«, jammerte die kleine Blonde, »bitte nehmen Sie mir Zev nicht weg! Er ist jetzt oben im Haus und packt .«
Der Ingenieur wand sich und vermied den tränenfeuchten Blick Dworas. »Was kann ich tun, mein Kind?« fragte er schließlich. »Er ist mein Krankenwärter.«
»Aber ich liebe ihn so!«
Wieder verdroß der Staatsmann das allzu naive Mädchen. Warum war sie wegen dieses zynischen Rüpels so verzweifelt?
»Liebe junge Dame« - er stellte sich vor Dwora auf, »glauben Sie mir, Zevs Charakter paßt ganz und gar nicht zu Ihrer Persönlichkeit. Es wäre am besten, mein Mädchen, wenn Sie ihn so schnell wie möglich vergessen.«
»Ich kann ihn nicht vergessen, Herr Ingenieur. Er ist so klug und schön.«
»Schön!«
»Ja. Sehr. Er trägt Brillen.«
»Jetzt hören Sie, meine Freundin!« tobte der Staatsmann. »Wie können Sie sich vorstellen - ein Mädchen, deren Wurzeln im landwirtschaftlichen Sektor liegen -, daß Sie fähig wären, die Bedürfnisse eines absolut städtischen intellektuellen Typs zu befriedigen?«
»Aber ich liebe ihn so!«
»Das ist nicht der richtige Weg, Genossin! Dieses Problem kann nicht auf einer individuellen Basis gelöst werden, mit Hilfe flüchtiger emotionaler Kanäle, sondern nur mittels einer staatlichen Regelung, die den Frauen gesetzesmäßig gleiche Rechte garantieren wird.«
»Das verstehe ich nicht.« Dwora brach in bittere Tränen aus, die eine Stelle in Dulnikkers Herz berührten, denn er war aus irgendeinem Grund unfähig, weinenden Frauen zu widerstehen. Der verwirrte Staatsmann trat auf das Mädchen zu und tätschelte ihr das strohgelbe Haar. »Schon gut, junge Dame, schon gut.« Der Staatsmann räusperte sich. »Gehen Sie heim, mein Mädchen, und versuchen Sie, Zev zu überzeugen.
Was mich betrifft, so bin ich bereit, noch ein paar Tage länger zu bleiben, oder sogar noch länger ...«
Die Hoffnungen, die Dulnikker auf Dworas Einfluß über seinen Ersten Sekretär gesetzt hatte, verschwanden wie ein Wachtraum. Am frühen Nachmittag erschien Zev im Wirtshaus und begann, die Sachen des Staatsmannes zu packen. Dulnikker saß ihm die ganze Zeit in bedeutungsvollem Schweigen versunken gegenüber.
»Fertig, Dulnikker!« verkündete der Sekretär, nachdem er den Koffer geschlossen hatte. Und fügte in samtweichem Ton hinzu: »Ihren Bademantel habe ich draußen gelassen .«
Dulnikkers Wut war grenzenlos. Genügte es nicht, daß dieser verächtliche Rüpel die Reinheit der dörflichen Familie befleckte? Sollte er es auch wagen, gegen das warme, menschliche Verhältnis zwischen Malka und ihm zu intrigieren? Der Staatsmann empfand eine wachsende Zuneigung zu der gutherzigen Frau, besonders seit es bei einem ihrer Treffen klar geworden war, daß Malka den grünen Pullover für ihn strickte. Sie hatte Dulnikkers Maße bei Mondlicht genommen, und die sanfte Berührung ihrer Finger ließ seinen Brustkasten von einem derartigen Herzklopfen durchwogen, daß er sie an sich gezogen und kräftiger denn je die Fäden seiner Lebensgeschichte entwirrt hatte .
Als Dulnikker nun die Andeutung seines jungen Packers gehört hatte, fühlte er einen mächtigen Drang in sich, seinem Privatsekretär einen Hieb auf die Nase zu versetzen.
»Höre, Freund«, sagte er leise, »rufe doch netterweise den Provisorischen Rat für heute abend zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen.«
»Dulnikker, um Himmels willen!«
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