Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Tone. (Eigentlich ist es wahrscheinlicher, daß »Strom« in diesem Fall eher gleichbedeutend ist mit dem Durchsickern und Tröpfeln des Grundwassers als mit einem strömenden offenen Fluß. Aber der Einfachheit halber werde ich weiter das allgemeine Wort Strom benutzen.) Ob es einem speziellen Typ von Tonkristall gelingt, sich aufzubauen oder nicht, hängt unter anderem von Geschwindigkeit oder Fließmuster des Stroms ab. Aber Ablagerungen von Ton können umgekehrt auch das Fließen des Stroms beeinflussen, was sie unbeabsichtigt durch Verändern von Ebene, Gestalt und Gefüge des durchflossenen Bodens tun. Denken wir uns eine Tonvariante, die zufällig die Eigenschaft hat, das Bodengefüge so umzugestalten, daß der Fluß schneller wird. Die Folge ist, daß der betreffende Ton wieder fortgewaschen wird. Diese Sorte von Ton ist per definitionem nicht sehr »erfolgreich«. Ein weiterer nicht erfolgreicher Ton würde den Fluß so ändern, daß eine rivalisierende Tonvariante begünstigt wird.
Wir legen natürlich keinesfalls den Gedanken nahe, daß Tone weiterexistieren »wollen«. Wir sprechen immer nur über zufällige Nebenfolgen, Ereignisse, die sich aus zufälligen Merkmalen des Replikators ergeben. Denken wir uns noch eine andere Tonvariante, die zufällig das Fließen des Wassers so verlangsamt, daß die zukünftige Ablagerung ihrer eigenen Tonsorte vergrößert wird. Offensichtlich wird diese zweite Variante dazu neigen, sich weit zu verbreiten, da sie Ströme zufällig zu ihrem eigenen »Vorteil« manipuliert. Das wird eine »erfolgreiche« Tonvariante sein. Aber bisher befassen wir uns nur mit Ein-Schritt-Selektion. Ist es möglich, daß eine Form der kumulativen Selektion einsetzen könnte?
Um ein bißchen weiter zu spekulieren, nehmen wir an, daß eine Variante eines Tons ihre eigenen Chancen, abgelagert zu werden, verbessert, indem sie Ströme aufstaut - eine unbeabsichtigte Folge einer besonderen Fehlerstruktur des Tons. In jedem Strom, in dem diese Sorte von Ton vorkommt, bilden sich Dämme und demzufolge große, stagnierende, flache Tümpel, und der Hauptteil des Wassers wird in einen neuen Lauf umgeleitet. In diesen stilliegenden Tümpeln wird mehr von derselben Tonsorte abgelagert. Eine Aufeinanderfolge solch flacher Tümpel gedeiht entlang jedes Stroms, der zufällig von Saatkristallen dieser Tonsorte »infiziert« ist. Nun werden, da der Hauptarm des Stromes umgeleitet ist, die flachen Tümpel während der trockenen Jahreszeit leicht austrocknen. Der Ton trocknet und bildet Risse in der Sonne, und die oberen Schichten werden als Staub fortgeblasen. Jedes Staubpartikelchen erbt die charakteristische defekte Struktur des Elterntons, der das Wasser angestaut hat, die Struktur, die dem Elter seine Staufähigkeiten verliehen hat. In Analogie zu der genetischen Information, die von meinem Trauerweidenbaum auf den Kanal regnet, könnten wir sagen, daß der Staub die »Instruktionen« in sich trägt, wie Ströme zu dämmen sind und wie letzten Endes mehr Staub herzustellen ist. Der Staub verbreitet sich weit und breit im Wind, und es besteht eine plausible Chance, daß einige Partikel zufällig in einem anderen Strom landen werden, der bisher nicht mit den Samen dieses dammherstellenden Tons »infiziert« war. Einmal mit der richtigen Staubsorte infiziert, beginnt ein neuer Strom Kristalle von dammbauendem Ton zu produzieren, und der ganze Zyklus von Ablagern, Dämmen, Trocknen, Erodieren beginnt von neuem.
Wollten wir das einen »Lebens«zyklus nennen, so hieße das eine wichtige Frage als bewiesen anzunehmen: Tatsächlich ist es eine Art Zyklus, und er hat mit echten Lebenszyklen die Fähigkeit gemein, kumulative Selektionen in Gang zu setzen. Weil Ströme von Staub-»samen«, von anderen Strömen herübergeweht, infiziert werden, können wir sie in eine Reihenfolge von »Vorfahren« und »Nachkommen« anordnen. Der Ton, der in Fluß B Tümpel abdämmt, kam dorthin in Form von Staubkristallen, herübergeweht von Strom A. Irgendwann werden die Tümpel von Strom B austrocknen und Staub herstellen, der die Ströme F und P infizieren wird. Nach der Herkunft ihres dammbauenden Tons können wir Ströme in »Familienstammbäume« einordnen. Jeder infizierte Strom hat einen »Eltern«-Strom und kann mehr als einen »Tochter«- Strom besitzen. Jeder Strom ist einem Körper vergleichbar, dessen »Entwicklung« von Staubsamen-»Genen« beeinflußt wird, ein Körper, der letzten Endes neue Staubsamen ausstreut.
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