Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
sein, deren Natur wir nur erraten können. Aber es muß auf sich reproduzierenden Einheiten mit Macht über ihre eigene Zukunft gegründet gewesen sein. Cairns-Smith nimmt an, daß die ursprünglichen Replikatoren Kristalle anorganischer Materialien waren, etwa wie wir sie in Lehm und Schlamm finden. Ein Kristall ist nichts anderes als eine große geordnete Gruppierung von Atomen oder Molekülen in festem Zustand. Aufgrund von Merkmalen, die wir uns als ihre »Gestalt« vorstellen können, neigen Atome und kleine Moleküle in natürlicher Weise dazu, sich in einer festen und geordneten Weise zusammenzupacken. Es ist beinahe so, als »wollten« sie sich in besonderer Weise zusammennuten, aber diese Illusion ist nichts anderes als eine unbeabsichtigte Konsequenz ihrer Merkmale. Die »bevorzugte« Weise ihres Sichzusammennutens bestimmt die Gestalt des ganzen Kristalls. Es bedeutet außerdem, daß selbst bei einem großen Kristall wie einem Diamanten jeder beliebige Teil des Kristalls exakt gleich jedem anderen ist, es sei denn, der Diamant weist Fehler auf. Könnten wir auf die Größe eines Atoms zusammenschrumpfen und in einen Diamanten hineinkriechen, so würden wir fast endlose Reihen von Atomen sehen, die sich in geraden Linien bis zum Horizont erstrecken - lange Hallen geometrischer Wiederholung.
Was uns interessiert, ist Replikation, also müssen wir als erstes wissen, ob Kristalle ihre Struktur verdoppeln können. Kristalle bestehen aus Myriaden von Schichten von Atomen (oder Äquivalenten), und jede Schicht baut sich auf der darunterliegenden Schicht auf. Atome (oder Ionen, der Unterschied muß uns hier nicht beschäftigen) schwimmen frei in einer Lösung herum, wenn sie aber zufällig auf einen Kristall treffen, so haben sie eine natürliche Tendenz, auf der Oberfläche des Kristalls in eine bestimmte Position hineinzurutschen. Eine gewöhnliche Kochsalzlösung enthält Natrium- und Chloridionen, die mehr oder weniger chaotisch herumpurzeln. Ein Kochsalzkristall ist eine dichtgepackte, geordnete Anhäufung von abwechselnd Natriumionen und Chloridionen, die in rechtem Winkel zueinander stehen. Wenn im Wasser treibende Ionen zufällig auf die harte Oberfläche des Kristalls stoßen, bleiben sie gewöhnlich hängen. Und sie bleiben genau an den richtigen Stellen hängen, um den Beginn einer neuen Schicht des Kristalls, genau gleich der unteren, auszulösen. Sobald ein Kristall sich einmal herauszubilden beginnt, wächst er, und jede Schicht ist gleich der Schicht darunter.
Gelegentlich beginnen Kristalle in Lösungen spontan zu wachsen. Zu anderen Zeitpunkten müssen sie »gezüchtet« werden, d. h. entweder durch Staubpartikel oder durch kleine hineingeworfene Kristalle von außen ausgelöst werden. Cairns- Smith lädt uns zu folgendem Experiment ein: Man löse eine große Menge »Hypo«fixierer, wie ihn die Photographen verwenden, in sehr heißem Wasser auf. Dann lasse man die Lösung abkühlen und passe dabei gut darauf auf, daß kein Staub hineingerät. Die Lösung ist nun »übersättigt«, fertig und bereit, Kristalle zu erzeugen, aber sie hat keine Samenkristalle, die den Vorgang initiieren könnten. Ich zitiere nun aus Cairns- Smiths Seven Clues to the Origin of Life:
»Man nehme den Deckel vorsichtig von dem Becherglas ab, lasse ein winziges Stückchen >Hypo<-Kristall auf die Oberfläche der Lösung fallen und beobachte verwundert, was geschieht. Unser Kristall wächst sichtbar: von Zeit zu Zeit bricht er auseinander, und die Teilstücke wachsen ebenfalls ... Bald ist unser Becherglas angefüllt mit Kristallen, einige davon mehrere Zentimeter lang. Dann, nach ein paar Minuten, hört alles auf. Die Zauberlösung hat ihre Macht verloren - obwohl wir, wenn wir eine weitere Vorstellung sehen wollen, das Becherglas nur erneut zu erhitzen und erneut abkühlen zu lassen brauchen ... Übersättigt sein bedeutet, mehr aufgelöst zu haben, als da sein sollte ... Die kalte übersättigte Lösung wußte fast buchstäblich nicht, was sie tun sollte. Wir mußten es ihr >sagen<, indem wir ein Stück Kristall hineinwarfen, dessen Einheiten (Milliarden und Abermilliarden von ihnen) bereits in der Weise zusammengepackt waren, wie es für > Hypo <-Kristalle charakteristisch ist. Die Lösung mußte >geimpft< werden.«
Einige chemische Substanzen haben die Fähigkeit, in zwei verschiedenen Arten zu kristallisieren. Graphit und Diamanten z. B. sind beides Kristalle aus reinem Kohlenstoff. Ihre Atome sind identisch. Die
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