Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
dem hübschen Namen Montmorillonit durch kleine Mengen eines organischen Moleküls mit dem weniger hübschen Namen Karboxymethylzellulose gewöhnlich auf. Kleinere Mengen von Karboxymethylzellulose haben jedoch genau den entgegengesetzten Effekt, sie tragen dazu bei, daß Montmorillonitpartikel aneinanderhaften. Gerbsäuren, eine andere Sorte organischer Moleküle, werden in der Ölindustrie benutzt, um das Bohren in Schlamm zu erleichtern. Wenn man beim Bohren nach Erdöl organische Moleküle dazu benutzen kann, Fließen und Bohrbarkeit von Schlamm zu manipulieren, so ist kein Grund zu sehen, warum die kumulative Auslese nicht zu derselben Art von Ausbeutung durch die sich selbst reproduzierenden Mineralien geführt haben sollte.
An dieser Stelle erhält Cairns-Smiths Theorie eine Gratisprämie an zusätzlicher Glaubwürdigkeit. Andere Chemiker, die die konventionellere, auf der organischen »Ursuppe« basierende Theorie vertreten, haben schon seit langem akzeptiert, daß Tonmineralien recht hilfreich gewesen seien. Zitieren wir einen von ihnen (D. M. Anderson): »Es wird weithin akzeptiert, daß einige, vielleicht viele der abiotischen chemischen Reaktionen und Prozesse, die zu der Entstehung von sich reproduzierenden Mikroorganismen auf der Erde geführt haben, sehr früh in der Geschichte der Erde dicht an den Oberflächen von Tonmineralien und anderen anorganischen Substraten stattfanden.« Dieser Autor führt anschließend fünf »Funktionen« von Tonmineralien an, die bei der Entstehung organischen Lebens mitgeholfen haben sollen, etwa die »Konzentration reagierender, chemischer Stoffe durch Adsorption«. Wir brauchen die fünf hier nicht zu erklären, noch nicht einmal zu verstehen. Für uns ist nur wichtig, daß jede dieser fünf »Funktionen« der Tonmineralien auch umgekehrt aufgefaßt werden kann und den engen Zusammenhang unterstreicht, der zwischen organischer chemischer Synthese und Tonoberflächen bestehen kann - ein Bonus für die These, daß Tonreplikatoren organische Moleküle synthetisierten und für ihre eigenen Zwecke benutzten.
Cairns-Smith diskutiert detaillierter, als ich es hier wiedergeben kann, welchen Nutzen seine Tonkristall-Replikatoren von Proteinen, Zucker, und - am wichtigsten - von Nukleinsäuren wie RNS gehabt haben können. Und er suggeriert den Gedanken, daß RNS zuerst für rein strukturelle Zwecke benutzt wurde, so wie Ölbohrer Gerbsäuren verwenden oder wir Seife und Waschmittel. RNS-ähnliche Moleküle hätten wegen ihrer negativ geladenen Stränge die Tendenz, die Tonpartikel außen zu umkleiden. Doch da geraten wir in Bereiche der Chemie, die über den Rahmen unseres Themas hinausgehen. Für unseren Zusammenhang ist es wichtig, daß RNS oder etwas Ähnliches schon längst da war, bevor es anfing, sich selbst zu verdoppeln. Als diese Moleküle schließlich dazu übergingen, sich selbst zu reproduzieren, folgten sie einer Entwicklung der mineralischen Kristall-»Gene«, um die Effizienz der RNS-Erzeugung (oder eines ähnlichen Moleküls) zu verbessern. Nachdem aber erst einmal ein neues sich selbst reproduzierendes Molekül entstanden war, konnte eine neue Art kumulativer Selektion einsetzen. Ursprünglich nebensächlich, erwiesen sich die neuen Replikatoren als so viel leistungsfähiger als die ursprünglichen Kristalle, daß sie die Zügel in die Hand nahmen. Sie entwickelten sich weiter und vervollkommneten schließlich den uns heute bekannten DNS-Code. Die ursprünglichen mineralischen Replikatoren wurden, wie nicht mehr benutzte Gerüste, beiseite geschoben, und das ganze heute existierende Leben entstand durch Evolution aus einem relativ jungen gemeinsamen Vorfahren, mit einem einzigen, einheitlichen genetischen System und weitgehend einheitlicher Biochemie.
In meinem Buch Das egoistische Gen spekulierte ich, daß wir uns vielleicht gegenwärtig an der Schwelle einer neuen Form genetischer Machtübernahme befinden. DNS-Replikatoren bauten für sich selbst »Uberlebensmaschinen« - die Körper lebender Organismen, uns Menschen eingeschlossen. Als Teil ihrer Ausrüstung entwickelten Körper eingebaute Computergehirne. Gehirne entwickelten die Fähigkeit, mit anderen Gehirnen mittels Sprache und kulturellen Traditionen zu kommunizieren. Aber die neue Umwelt kultureller Tradition eröffnet den sich selbst reproduzierenden Einheiten neue Möglichkeiten. Die neuen Replikatoren sind nicht DNS und nicht Tonkristalle. Sie sind Informationsmuster, die nur in Gehirnen oder in
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