Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
sich in die DNS eines einzigen Bakteriums hineinpacken lassen, könnte man ganz genauso eindrucksvoll für fast jeden beliebigen Kristall durchführen. Die DNS hat dem normalen Kristall allerdings eins voraus: ein Mittel, das das Lesen ihrer Information erlaubt. Wenn wir dieses Problem des Ablesens außer acht lassen, so können wir leicht einen willkürlichen Code entwerfen, nach dem Fehler in der Atomstruktur des Kristalls binäre Zahlen bezeichnen. Man könnte dann mehrere Versionen des Neuen Testaments in einen Mineralkristall von der Größe eines Stecknadelkopfes hineinpacken. In größerem
Maßstab ist das im Grunde die Methode, mit der man Musikinformation auf der Oberfläche einer Compact Disk speichert. Die Musiknoten werden durch Computer in binäre Zahlen konvertiert. Dann kerbt man mit einem Laserstrahl ein Muster winziger Fehler in die ansonsten glasglatte Oberfläche der Platte ein. Jedes kleine gekerbte Loch entspricht einer binären 1 (oder einer 0, die Bezeichnungen sind willkürlich). Wenn wir die Platte abspielen, »liest« ein anderer Laserstrahl das Fehlermuster, und ein für diesen speziellen Zweck in den Plattenspieler eingebauter Computer verwandelt die binären Zahlen zurück in Schallwellen, so daß wir sie in verstärkter Form hören können.
Zwar werden Laserplatten heute vorwiegend für Musik benutzt, doch könnte man ebensogut die ganze Encyclopaedia Britannica darauf packen und mit Hilfe derselben Lasertechnik ablesen. Fehler in Kristallen auf der Atomebene sind bei weitem kleiner als die Pünktchen, die in die Oberfläche einer Laserplatte eingeritzt sind, somit können Kristalle potentiell mehr Information auf einer gegebenen Fläche unterbringen. In der Tat sind DNS-Moleküle, deren Kapazität zum Speichern von Information uns bereits beeindruckt hat, selbst etwas Ähnliches wie Kristalle. Obwohl Lehmkristalle theoretisch dieselben gewaltigen Informationsmengen speichern könnten wie DNS oder Laserplatten, behauptet niemand, daß sie es jemals getan haben. Die Rolle, die man Lehm und anderen Mineralkristallen in der Theorie zuweist, ist, ursprünglich als low-tech- Replikatoren fungiert zu haben, die dann irgendwann einmal von der high-tech -DNS verdrängt wurden. Sie entstehen spontan in den Gewässern unseres Planeten ohne die ausgefeilte »Maschinerie« der DNS; und sie entwickeln spontan Fehler, von denen einige vielleicht in darauffolgenden Kristallschichten reproduziert werden. Wenn Bruchstücke von einem in geeigneter Weise fehlerhaften Kristall später abbrächen, könnten sie als »Samen« für neue Kristalle fungieren, wobei jedes der neuen Kristalle das Fehlermuster seines »Elters« »erbt«.
So gewinnen wir ein spekulatives Bild mineralischer Kristalle auf der jungen Erde mit einigen Merkmalen der Replikator-Multiplikation, Vererbung und Mutation, die für den Start einer kumulativen Selektion nötig gewesen wären. Aber es fehlt immer noch die Zutat »Macht«: Die Natur der Replikatoren muß auf irgendeine Weise die Wahrscheinlichkeit der Selbstverdoppelung beeinflußt haben. Als wir von Replikatoren im abstrakten Sinne sprachen, sahen wir, daß »Macht« einfach nur direkte Merkmale des Replikators selbst sein können, ihm innewohnende Merkmale wie »Klebrigkeit«. Auf dieser elementaren Ebene scheint der Name »Macht« kaum gerechtfertigt zu sein. Ich benutze ihn nur angesichts dessen, wozu er in späteren Stadien der Evolution werden kann: zum Beispiel (und zwar über indirekte Auswirkungen auf das Überleben der Schlange) zur Macht des Giftzahns einer Schlange, den DNS-Code für Giftzähne zu verbreiten. Ob die ursprünglichen iow-tech-Replikatoren mineralische Kristalle oder organische direkte Vorläufer der DNS selbst waren: wir können davon ausgehen, daß die ausgeübte »Macht«, wie Klebrigkeit, direkt und elementar war. Fortgeschrittene Ebenen der Macht, wie der Giftzahn einer Schlange oder die Blüte einer Orchidee, traten sehr viel später auf.
Was kann »Macht« im Zusammenhang mit Lehm bedeuten? Welche zufälligen Merkmale des Tons könnten die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, daß er dieselbe Varietät von Ton in der Umgebung verbreitet? Tone bestehen aus chemischen Bausteinen wie Kieselsäure und Metallionen, die in Flüssen und Strömen in Lösungen vorkommen, nachdem sie sich aus weiter flußaufwärts gelegenen »verwitterten« Felsen herausgelöst haben. Unter geeigneten Bedingungen kristallisieren sie weiter flußabwärts wieder aus und bilden
Weitere Kostenlose Bücher