Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
künstlich hergestellten Gehirnprodukten - in Büchern, Computern usw. - gedeihen können. Vorausgesetzt, daß es Gehirne, Bücher und Computer gibt, können diese neuen Replikatoren, die ich Mem nannte, um sie von Genen zu unterscheiden, sich selbst von Gehirn zu Gehirn, von Gehirn zu Buch, von Buch zu Gehirn, von Gehirn zu Computer, von Computer zu Computer fortpflanzen. Während sie sich ausbreiten, können sie sich verändern - mutieren. Und vielleicht können »mutante« Meme Einflüsse der Art ausüben, die ich hier als »Replikatormacht« bezeichne. Man denke daran, daß damit jede beliebige Art von Einfluß gemeint ist, der auf die Wahrscheinlichkeit einwirkt, mit der sie selbst propagiert werden. Evolution unter dem Einfluß der neuen Replikatoren - memische Evolution - steckt noch in den Kinderschuhen. Sie manifestiert sich in den Phänomenen, die wir als kulturelle Evolution bezeichnen. Kulturelle Evolution ist viele Größenordnungen schneller als auf DNS beruhende Evolution, was uns sogar noch stärker dazu veranlaßt, über den Gedanken der »Machtübernahme« nachzudenken. Und wenn wir am Anfang einer neuen Art von Replikatormachtübernahme stehen, so ist es vorstellbar, daß sie vom Start weg ihre Elter- DNS (und ihre Großeiter Ton, wenn Cairns-Smith recht hat) weit hinter sich läßt. Wenn das zutrifft, können wir sicher sein, daß Computer sich an der Führungsspitze befinden werden.
Könnte es sein, daß eines fernen Tages intelligente Computer über ihre eigenen verlorengegangenen Ursprünge spekulieren? Wird einer von ihnen über die ketzerische Wahrheit stolpern, daß sie aus einer weit zurückliegenden, früheren Lebensform entstanden sind, deren Wurzeln in organischer Kohlenstoffchemie lag, statt in den auf Silizium gegründeten elektronischen Prinzipien ihres eigenen Körpers?
Wird ein Cairns-Smith-Roboter ein Buch mit dem Titel »Elektronische Machtübernahme« schreiben? Wird er irgendein elektronisches Äquivalent für die Metapher des Rundbogens wiederentdecken und sich darüber klarwerden, daß Computer nicht spontan entstanden sein können, sondern vielmehr aus irgendeinem früheren Prozeß kumulativer Selektion hervorgegangen sein müssen? Wird er ins Detail gehen und DNS als einen plausiblen frühen Replikator rekonstruieren, Opfer der elektronischen Usurpation? Und wird er weitblickend genug sein, um auf die Idee zu kommen, daß sogar DNS selbst möglicherweise ein Usurpator von noch weiter zurückliegenden und primitiveren Replikatoren gewesen sein muß, Kristallen anorganischer Silikate? Wenn er eine poetische Ader hat, wird er sogar etwas Gerechtigkeit sehen in der schließlichen Rückkehr zum auf Silizium aufbauenden Leben, wobei DNS nichts anderes war als ein Zwischenspiel, wenn auch ein Zwischenspiel, das länger als drei Äonen dauerte.
Das ist Science-Fiction und klingt wahrscheinlich weit hergeholt. Doch das macht nichts. Wichtiger ist, daß Cairns- Smiths eigene Theorie und eigentlich auch alle anderen Theorien über die Entstehung des Lebens dem Leser weit hergeholt und schwer glaubhaft vorkommen können. Findet der Leser sowohl Cairns-Smiths Tontheorie als auch die eher orthodoxe Theorie von der organischen Ursuppe hochgradig unwahrscheinlich? Klingt es in seinen Ohren so, als bedürfe es eines Wunders, um aufs Geratewohl herumdrängelnde Atome dazu zu bringen, sich zu einem sich selbst reproduzierenden Molekül zusammenzuballen? Nun, manchmal scheint es mir selbst auch so. Aber schauen wir uns diese Kette von Wundern und Unwahrscheinlichkeiten ein bißchen genauer an. Dabei werde ich etwas zeigen, das paradox, aber darum um so interessanter ist. Nämlich, daß wir als Naturwissenschaftler sogar ein wenig beunruhigt sein sollten, wenn die Entstehung des Lebens unserem eigenen menschlichen Bewußtsein nicht wunderbar erscheinen würde. Eine (für das gewöhnliche menschliche Bewußtsein) offensichtlich wunderbare Theorie ist genau die Art Theorie, nach der wir in dieser besonderen Frage der Entstehung des Lebens suchen sollten. Dieses Argument, das auf die Diskussion hinausläuft, was wir unter einem Wunder verstehen, wird den Rest dieses Kapitels einnehmen. In gewisser Weise ist es eine Fortführung der Erörterung, die wir an früherer Stelle über die Milliarden Planeten geführt haben.
Was meinen wir also mit einem Wunder? Ein Wunder ist etwas, das übermäßig überraschend ist. Wenn eine Marmorstatue der Jungfrau Maria uns plötzlich mit der Hand zuwinkte,
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