Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
des Auges durch natürliche Auslese in 1000 Schritten. Wie sieht es nun mit Dovers Erklärung aus? Im wesentlichen führt er an, es sei nicht darauf angekommen, welche Entscheidung die Abstammungslinie bei jedem Schritt traf: sie hätte im nachhinein eine Verwendung für das daraus hervorgehende Organ gefunden. Seiner Ansicht nach war jeder Schritt der Stammesgeschichte ein zufälliger Schritt. Bei Schritt 1 etwa breitete sich eine zufällige Mutation in der ganzen Art aus. Da das neu entstandene Merkmal funktional gesehen zufällig war, half es dem Tier nicht beim Überleben. Somit durchsuchte die Art die Welt nach einem neuen Ort oder einer neuen Lebensweise, wo sie dieses neue, ihren Körpern aufgezwungene zufällige Merkmal benutzen konnte. Wenn sie ein Stück Umwelt gefunden hatte, das für den zufällig entstandenen Teil ihrer Körper geeignet war, lebte sie dort eine Zeitlang, bis eine neue zufällige Mutation entstand und sich in der Art ausbreitete. Nun mußte die Art erneut die Welt nach einem neuen Platz oder einer neuen Lebensweise durchforschen, wo sie mit ihrem neuen zufällig entstandenen Teil leben konnte. Hatte sie es gefunden, war Schritt 2 abgeschlossen. Nun begann sich die zufällige Mutation von Schritt 3 über die Art auszubreiten, 1000 Schritte lang, an deren Ende das Auge, wie wir es kennen, entstanden war. Dover weist darauf hin, daß das menschliche Auge nicht infrarotes, sondern Licht benutzt, das wir »sichtbares« Licht nennen. Wenn aber Zufallsprozesse eingetreten wären, die uns zufällig ein infrarotempfindliches Auge aufgezwungen hätten, hätten wir zweifellos das Beste daraus gemacht und eine Lebensweise gefunden, die das infrarote Licht bis zum letzten nutzt.
Auf den ersten Blick besitzt diese Idee eine gewisse verführerische Glaubwürdigkeit, aber nur auf einen kurzen ersten Blick. Die verführerische Kraft rührt daher, daß die natürliche Auslese sauber genau auf den Kopf gestellt worden ist. Die natürliche Auslese nimmt in ihrer einfachsten Form an, daß die Umwelt der Art aufgezwungen wird und daß jene genetischen Varianten, die für jene Umwelt am geeignetsten sind, überleben. Die Umwelt ist aufgezwungen, und die Art entwickelt sich, um sich ihr anzupassen. Dovers Theorie stellt diese Verhältnisse auf den Kopf. Es ist die Natur der Art, die »aufgezwungen« ist, in diesem Fall durch die Zufälle der Mutation und anderer genetischer Kräfte, die ihn besonders interessierten. Die Art macht dann jenen Typ aus der Gruppe der Umwelten ausfindig, der der aufgezwungenen Natur der Spezies am besten angepaßt ist.
Aber die verführerische Kraft der Symmetrie ist in der Tat sehr oberflächlicher Natur. Der phantastische Wolkenkuckucksheim-Charakter von Dovers Idee zeigt sich in all seiner Großartigkeit in dem Moment, wo wir in Zahlen zu denken beginnen. Die Essenz seines Systems ist, daß es bei jedem der 1000 Schritte nicht auf die Richtung der Wandlung angekommen sei. Jede neue Innovation, die die Art hervorgebracht habe, sei funktional gesehen zufällig gewesen und die Art habe dann eine Umwelt gefunden, die zu ihr paßte. Er setzt stillschweigend voraus, daß die Art stets eine passende Umwelt gefunden haben würde, gleichgültig, welche Abzweigung sie bei jeder Weggabelung genommen hätte. Aber denken wir nur einmal daran, wie viele mögliche Umwelten wir nun postulieren müssen. Es gab 1000 Verzweigungspunkte. Wenn jeder Verzweigungspunkt eine bloße Gabelung wäre (eine vorsichtige Annahme im Vergleich zu einer Kreuzung mit 3 oder 28 möglichen Richtungen), ist die Gesamtzahl bewohnbarer Umwelten, die im Prinzip existieren müssen, damit Dovers Plan funktionieren kann, 2 hoch 1000 (der erste Zweig ergibt zwei Wege; dann teilt sich jeder von diesen in zwei, was insgesamt vier ergibt; dann verzweigen sich diese alle, was acht ergibt; dann 16, 32, 64 ... bis hin zu 2 1000 ). Diese Zahl läßt sich schriftlich als eine 1 mit 301 Nullen wiedergeben. Sie ist bei weitem größer als die gesamte Zahl der Atome im ganzen Universum.
Dovers angeblicher Rivale der natürlichen Auslese könnte niemals funktionieren, nicht einfach nur niemals in Millionen Jahren, sondern niemals in millionenmal der Zeit, seit der das Universum besteht, niemals in einer Million Universen, von denen jedes wieder einemillionmal so lange existiert. Man beachte, daß diese Schlußfolgerung nicht wesentlich davon beeinflußt würde, wenn wir Dovers ursprüngliche Annahme, daß 1000 Schritte nötig wären,
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