Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
diesem Schluß gelangen, beharrt Paley, und doch tue der Atheist de facto genau das, wenn er die Werke der Natur betrachte, denn:
Jede Andeutung einer Planung, jede Offenbarung eines Entwurfs, die bei der Uhr zu finden war, existiert auch in den Werken der Natur; mit dem Unterschied, daß sie in der Natur größer oder zahlreicher sind, und zwar in einem Ausmaß, das alle Schätzungen übersteigt.
Paley kommt anhand eindrucksvoller und ehrerbietiger Beschreibungen der zerlegten Maschinerie des Lebens zur Sache und beginnt mit dem menschlichen Auge, einem beliebten Beispiel, das Darwin später ebenfalls benutzen sollte und das in diesem Buch immer wieder vorkommen wird. Paley vergleicht das Auge mit einem nach Plan hergestellten Instrument, einem Teleskop etwa, und schließt, daß »es genau den gleichen Beweis dafür gibt, daß das Auge zum Sehen gemacht wurde, wie dafür, daß das Teleskop dafür gemacht wurde, das Auge zu unterstützen«. Das Auge muß einen Konstrukteur gehabt haben, gerade so wie das Teleskop.
Paley bringt seine Argumente mit leidenschaftlicher Ehrlichkeit vor und verfügt über das beste biologische Wissen seiner Zeit, aber was er sagt, ist falsch - absolut und in großartiger Weise falsch. Die Analogie zwischen Fernglas und Auge, zwischen Uhr und Lebewesen ist falsch. Allen Anzeichen zum Trotz: Der einzige Uhrmacher in der Natur sind die blinden Kräfte der Physik, wenn sie sich auch auf ihre besondere Weise entfalten. Ein echter Uhrmacher plant: Er entwirft seine Rädchen und Federn, ebenso ihren Zusammenhang, und zielt dabei auf einen künftigen Zweck. Die natürliche Zuchtwahl, der blinde, unbewußte, automatische Vorgang, den Darwin entdeckte und von dem wir heute wissen, daß er die Erklärung für die Existenz und scheinbar zweckmäßige Gestalt alles Lebens ist, zielt auf keinen Zweck. Sie hat keine Augen und blickt nicht in die Zukunft. Sie plant nicht voraus. Sie hat kein Vorstellungsvermögen, keine Voraussicht, sieht überhaupt nicht. Wenn man behauptet, daß sie die Rolle des Uhrmachers in der Natur spielt, dann die eines blinden Uhrmachers.
Ich werde das alles erklären und vieles andere mehr. Eines aber werde ich nicht tun: Ich werde das Wunder der lebenden »Uhren«, die Paley mit solcher Begeisterung erfüllten, nicht herunterspielen. Im Gegenteil, ich werde versuchen, meine Ansicht zu erklären, daß Paley in diesem Punkt sogar noch weiter hätte gehen können. Wenn es um die Ehrfurcht gegenüber lebenden »Uhren« geht, so stehe ich hinter niemandem zurück. Meine Gefühle entsprechen mehr denen des Pfarrers William Paley als denen des hervorragenden modernen Philosophen, eines bekannten Atheisten, mit dem ich diese Frage einmal während eines Essens erörterte. Ich sagte ihm, ich könne mir nicht vorstellen, wie man zu irgendeiner Zeit vor 1859, dem Datum der Veröffentlichung von Darwins Origin of Species, Atheist gewesen sein konnte. »Was ist dann mit Hume?« war die Antwort des Philosophen. »Wie erklärte Hume denn die Komplexität der lebenden Welt?« fragte ich. »Er erklärte sie nicht«, sagte der Philosoph. »Warum sollte sie einer besonderen Erklärung bedürfen?«
Paley wußte, daß sie einer besonderen Erklärung bedurfte; Darwin wußte es, und ich argwöhne, daß mein Gesprächspartner, der Philosoph, es tief im Innersten ebenfalls wußte. Und in jedem Fall wird es meine Aufgabe sein, sie hier zu erklären. Was David Hume betrifft, so wird manchmal gesagt, der große schottische Philosoph habe den Gottesbeweis aus Gründen der Zweckmäßigkeit ein Jahrhundert vor Darwin vom Tisch gefegt. Hume tat jedoch etwas ganz anderes, er kritisierte die Logik, mit der man die anscheinende Zweckmäßigkeit in der Natur als positiven Beweis für die Existenz eines Gottes interpretierte. Er lieferte aber keine alternative Erklärung für die scheinbare Zweckmäßigkeit, sondern ließ die Frage offen. Ein Atheist vor Darwin hätte in Anlehnung an Hume sagen können: »Ich kann komplexe biologische Baupläne nicht erklären. Ich weiß nur, daß Gott keine gute Erklärung dafür ist; so müssen wir eben warten und hoffen, daß jemand eine bessere vorbringt.« Wie soll eine solche Meinung, auch wenn sie logisch gesehen vernünftig ist, irgend jemanden sehr zufriedengestellt haben? Auch wenn der Atheismus vor Darwin logisch haltbar war, so ermöglichte Darwin es dem Atheisten, auch intellektuell zufrieden zu sein. Ich bilde mir gern ein, daß Hume dem zustimmen würde; einige
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